Ökosteuerreform wär' besser

■ Christine Scheel, finanzpolitische Sprecherin der bündnisgrünen Bundestagsfraktion, im Interview: Die fest geplante Mehrwertsteuererhöhung ist sozial völlig unausgewogen

taz: Die Koalition will die Mehrwertsteuer um zwei Prozent erhöhen, um damit die Große Steuerreform zu finanzieren. Sind Sie damit einverstanden?

Christine Scheel: Nein, und zwar aus zwei Gründen nicht. Zum einen wird durch die Mehrwertsteuererhöhung der Druck genommen, weitere Subventionen und Steuervergünstigungen abzubauen. Meine Hauptkritik ist aber: Otto Normalverbraucher und Lieschen Müller werden einseitig und ungerecht belastet. Schließlich zahlen die Unternehmen praktisch keine Mehrwertsteuer. Das, was bei ihnen Umsatzsteuer heißt, wird schließlich auf die Preise umgelegt.

Wäre es nicht besser, die Einnahmen aus einer Mehrwertsteuererhöhung zur Senkung der Lohnnebenkosten zu nutzen – wie von Schäuble & Co. gefordert?

Wenn sie schon kommt, dann sollten die Einnahmen wenigstens für die Senkung der Lohnnebenkosten verwendet werden. Das hat auch die Europäische Kommission vorgeschlagen. Eine bessere Lösung wäre aber die Ökosteuerreform. Dadurch werden die Arbeitskosten und gleichzeitig die Umwelt entlastet. Die Einkommenschwächeren bräuchten zudem finanziell nicht belastet zu werden.

Die Bundesregierung will eine Nettoentlastung von 20 Milliarden. Wie soll das funktionieren?

Ich habe wirklich keine Ahnung. Selbst bei einem Wirtschaftswachstum von zwei Prozent ändert sich die Beschäftigungssituation nicht. Mehr Steuereinnahmen bekommt man aber nur mit neuen Jobs.

Seit längerem stehen die Vorschäge der Grünen zu einer Steuerreform aus. Wann darf mit Ideen aus Ihrer Richtung gerechnet werden?

Wir streben eine Bruttoentlastung von 80 Milliarden an; 20 Milliarden durch die Erhöhung des Existenzminimums auf 14.000 Mark und 42 Milliarden durch die Senkung des Eingangssteuersatzes sowie den Rest für die Senkung des Spitzensteuersatzes.

Sie plädieren dafür, alle Einkunftsarten gleich zu behandeln, also auch Nachtarbeit zu besteuern. Was ist an diesen Vorschlägen gerechter als das, was von der Koalition kommt?

Durch die Erhöhung des Grundfreibetrages können wir Streichungen vornehmen, ohne daß es zu Mehrbelastungen kommt. Eine Krankenschwester – oder ein Krankenpfleger – würde deshalb in der Regel nicht von einer Besteuerung der Nachtarbeit betroffen. Außerdem würden wir verstärkt die Besserverdienenden belasten. Wir fordern etwa die Besteuerung der Lebensversicherung, sofern sie eine reine Kapitalanlage ist. Ferner wollen wir die Spekulations- und Veräußerungsgewinne abschöpfen.

Bei Ihren Wählern handeln Sie sich mit Ihren Vorschlägen viel Ärger ein. Haben Sie Verständnis für die Probleme der Koalition, die Steuervergünstigungen abzubauen?

Das kann man wohl sagen. Jede Gruppe beharrt darauf, daß ihre Privilegien nicht angetastet werden. Das betrifft sowohl die Unternehmer als auch die Gewerkschafter.

Wenn aber nichts angetastet werden darf, bedeutet das Stillstand. Damit kommt keine Große Steuerreform zustande. Interview: Markus Franz