Punks treffen Kammermusiker

■ Seit 20 Jahren besteht die Markthalle als multifunktionales Kommunikationszentrum

Mit angemessenem Abstand zur notorischen Jahresrückblicksmanie der vergangenen Wochen ist nun auch einem weniger alljährlichen Jubiläum Tribut zu zollen: Vor 20 Jahren, Sylvester 1976/77, eröffnete in der 1914 erbauten, ehemaligen Markthalle am Klosterwall das gleichnahmige Veranstaltungszentrum. Im damals tendenziell eher plüschsesselhaften Kulturmilieu bedeutete die neue Errungenschaft – neben der Fabrik – einen weitgehend konkurrenzlosen Anlaufpunkt für „alternative Kultur in alternativer Umgebung“ – so das Antrittsmotto, das heute sicherlich keine Verwendung mehr fände.

Ein Fünfteljahrhundert und 2,7 Millionen Besucher später ist die Ideologie der subkulturellen Unkonventionalität aus den Kindertagen des Kommunikationszentrums zur etablierten Konvention gediehen. Geschäftsführer Wolfgang Landt, seit 18 Jahren Leiter des staatlich subventionierten Kulturunternehmens, sieht darin auch den Grund für die anhaltende Popularität der Markthalle, selbst in gegenwärtigen „Zeiten massiver Konkurrenz“.

So wurde auch das genreübergreifende Konzept bis heute konsequent beibehalten: In der Markthallenhistorie finden sich neben der Konstante „Extrem-Musik“ (etwa die diversen Schattierungen der Metal-Sparte) auch Avantgardemodeschauen, alternative Opernaufführungen, Esoterik- und Tattoo-Messen, Comicbörsen und Filmfeste. Wolfgang Landt freut sich noch heute über interkulturelle Foyer-Begegnungen von Punks und Kammerochesterbesuchern.

Weniger spaßig empfand er die Tatsache, daß die Markthalle in Folge ihrer Punkkonzertaffinität Ende der 70er auch zum Schauplatz massenschlägerischer Auseinandersetzungen zwischen Punks und Mods avancierte. Veranstaltungen mußten bewacht werden, und als schließlich 500 wütende Punks ein Konzert über das Vordach enterten, mußte die Punk-Liaison vorübergehend beendet werden.

Seine „kulturpolitische Aufgabe“ hat Wolfgang Landt auch auf dem Sektor schultheatralischer Aufführung erfüllt, welcher ihm besonders am Herzen liegt. Dies nicht zuletzt auch aufgrund der damit verbundenen Kontaktierung von Jüngstgenerationen (auch der Verfasser dieser Zeilen erfuhr seinen ersten Markthallenkontakt komparsenmäßig über den Boden kriechend).

Landts Hoffnung, die juvenilen Zuschauer und Akteure später verstärkt als konzertbesuchende Twens wiederbegrüßen zu dürfen, würde sich aber wohl auch von alleine erfüllen. Schließlich hat die Markthalle einen Riecher für die Präsentation zukünftiger Stars hinreichend bewiesen: zu Markthallen-Debütanten zählen u. a. Iggy Pop, Cure, AC/DC, Depeche Mode, Police, Metallica und Nirvana.

Neben der Entdeckung weiterer potentieller Rockgrößen plant Wolfgang Landt auch im Jubiläumsjahr wieder ein interdisziplinäres Programm. Im Gespräch sind ein Schülerchor-Festival und ein Jugend-Antidrogenprojekt. Daß Landt hingegen von seinem suchtartigen Enthusiasmus für die Markthalle („Ich hänge mit jeder Faser dran“) kuriert werde, bleibt nicht zu wünschen – zumindest solange man auf zwei weitere Dekaden hochmotivierter Markthallenkultur hofft.

Christian Schuldt