Die Dame aus Bits und Bytes

■ Mit Lesungen, Filmvorführungen, DJs und Homepages wird William Gibsons neuer zwiespältiger HiTec-Thriller Idoru in Hamburg präsentiert

Er ist ein ziemlich mieser Schriftsteller. Und trotzdem glauben ihm einige, vielleicht sogar viele, jedes einzelne Wort. Denn William Gibson erzählt uns, wie unsere Zukunft aussehen könnte und erfand schon gestern Wörter wie „Cyber-space“ für sie. Deshalb gibt es auch kaum passendere Titel für die heute im Rahmen von „CinePoetry“ stattfindende Buchpräsentation als „Blick in die Zukunft“.

Eine Zukunft, die man als die dunkle Seite von Bill Gates' schöner neuer Technowelt der denkenden Häuser und sprechenden Toiletten verstehen kann. In Gibsons Dystopie kommen nicht die Macher und Wirtschaftslenker zum Zug, sondern die zukünftigen Darsteller einer Art Gegenkultur, wie wir sie heute schon kennen. Während es in Newromancer noch um Computeranarchisten ging, findet in seinem gerade bei Rogner & Bernhard erschienenen Idoru, aus dem der Übersetzer Peter Robert lesen wird, Popkultur Eingang in Gibsons Modulation des 21. Jahrhunderts.

Eine Idoru ist eine synthetische Popsängerin, die von Softwaredesignern aus unzähligen Softwareagenten – also jenen virtuellen Helferlein, die die Eigenschaften ihrer Besitzer annehmen – entworfen wurde. Das klingt ein wenig futuristisch. Doch auch hier wurden Gibsons Szenarien mal wieder von der Wirklichkeit eingeholt. Denn kürzlich wurde in Japan ein Video der ersten virtuellen Sängerin vorgestellt. Gekonnt geklont wurde sie aus dem Gesicht eines jungen japanischen Mädchens, dem Körper einer erwachsenen Afro-Amerikanerin und einer Stimme, die irgendwie an Liza Minelli erinnert. So hat die Idol-Sängerin für jeden etwas.

Inzwischen legt Gibson die Fährten zur Gegenwart selbst aus, indem er in Idoru etwa das Leben von Rez, des körperlich immerhin existenten Teils des monströs erfolgreichen Canton-Pop-Duos Lo/Rez, ähnlich unwirklich schildert. Denn wie die heutigen Superstars kauft Rez nicht eigenhändig ein, sondern läßt einkaufen und hinterläßt so kaum elektronische Spuren. Aus einer Laune heraus hat Rez erklärt, die künstliche Sängerin ehelichen zu wollen. Das bringt einige Leute auf Trab und die Handlung von Idoru in Gang. Denn parallel reisen Chia vom Lo/Rez-Fanclub in Seattle und der Datendetektiv Laney nach Tokio, um auf unterschiedliche Art einer Verschwörung auf die Spur zu kommen.

Dabei montiert Gibson ihre beiden Geschichten in handlichen Portionen gegeneinander. Wie der Aufbau an Konventionalität kaum zu überbieten ist, so ungelenk geraten Gibson auch die Figuren. Alle sprechen sie die gleiche Sprache: etwas hardboiled, etwas desillusioniert, etwas Computerslang. Frauen werden dabei als Unterschenkel, mit Vorliebe tätowiert, eingeführt und junge Mädchen sind naiv. Ein ziemlich mieser Autor, wie gesagt. Aber darum geht es ja nicht, sondern um einen Blick in die eigene Zukunft. Volker Marquardt Do, 16. Januar, Abaton, 20 Uhr