Hetzjagd auf die Roten

■ Boulevardpresse und Jägerverband blasen zur Jagd auf die angebliche Bestie Fuchs. Forstverwaltung: Tiere sind ungefährlich und aus der Großstadt nicht wegzudenken

Die Boulevardpresse bläst zum Halali: Nach dem Motto „Angriff der Killerfüchse“ werden Angst und Schrecken vor dem rotbefellten Jäger verbreitet, der in der Großstadt längst Heimrecht genießt. Den Vogel schoß dabei der Berliner Kurier ab: Mit der Titelseite „Fuchs zerfleischt Berliner Rentnerin – tot“ gruben die SchreiberInnen eine Geschichte von Anfang Dezember aus: Die „Rentnerin Paula P. aus Spandau“ sei im Garten ihres Wohnheims gestürzt, bewußtlos geworden und von einem hungrigen Fuchs so schwer an Gesicht, Armen und Beinen gebissen worden, daß sie „den schweren Verletzungen in der Klinik erlegen“ sei.

Jägerlatein, meint dazu die Polizeipressestelle. Zwar sei die Frau gebissen worden, gestorben sei sie allerdings an Unterkühlung. Die Bisse durch den Fuchs seien „wohl normal für ein hungriges Tier im Winter“, hieß es von der Polizei.

Selbst das allerdings bezweifelt Michael Erlbeck vom Landesforstamt. Schließlich gilt die Unschuldsvermutung auch für die Hundeartigen der Gattung Vulpes: „Hat denn jemand gesehen, wie der Fuchs zugebissen hat?“ Allein die Tatsache, daß ein Fuchs in der Nähe der Leiche mit Bißspuren gefunden worden sei, sei kein Beweis: „So etwas ist mir unvorstellbar. Wir haben im Moment keine Tollwut, und ein Fuchs, der richtig im Kopf ist, macht so etwas nicht. Vielleicht war der Fuchs im Garten nur auf dem Weg in die Küche des Wohnheims, um Futter zu stehlen.“

Die angebliche Bestie von Spandau ist nur ein Beispiel, wie momentan publizistisch aus vollen Rohren auf die Roten geschossen wird. Die B.Z. berichtete letzte Woche von Füchsen, die sich im „Schnell-Imbiß Zoo“ an Störchen, Pinguinen und Flamingos bedienten: „Touristen-Täter aus dem Umland“ schlichen sich an den Bahngleisen entlang in die Stadt und massakrierten hier friedliebende Vögel. Nächtliche Sonderstreifen und Flinten der Wärter bleiben wirkungslos: Die „Bande“ habe im Zoo bisher einen Flamingo und 40 Enten gerissen, die sich wegen der Eisschicht nicht mehr ins Wasser flüchten konnten. Im Tierpark mußten sogar ein Kormoran und 25 Flamingo-Eier dran glauben.

Das alles ist für Förster Erlbeck nicht erstaunlich. „Der Fuchs ist ein Nahrungsopportunist, er geht immer dahin, wo er am leichtesten das meiste zu fressen bekommt.“ Inzwischen seien deshalb die Meister Reinekes an das Großstadtleben optimal angepaßt, hätten ihre Scheu vor den Menschen verloren und ihre unverschlossenen Mülltonnen schätzen gelernt: „Der kommt in der Stadt besser klar als im Wald.“

Das soll sich offenbar ändern, wenn es nach der Boulevardpresse und dem Berliner Jagdverband geht. Dieser nämlich forderte just zum Zeitpunkt der veröffentlichten Fuchs-Verbrechen eine „stärkere Bejagung“ des Wildtieres. Der Fuchsbestand müsse dringend verringert werden, um das Niederwild zu erhalten und die Tollwutgefahr zu bannen. Es drohe eine „Verschiebung des Artenspektrums in den Kulturlandschaften“.

Eine Bejagung der Rotröcke findet auch Joachim Kassebohm von der Abteilung Jagdwesen der Umweltverwaltung notwendig: „Der Mensch hat die natürlichen Feinde des Fuchses ausgerottet, jetzt muß er selbst die Population regulieren.“ Wenn wie derzeit keine Tollwut herrsche, müsse niemand Angst vor den Tieren haben. Gejagt werden dürfen Füchse nur zwischen November und Februar. Im letzten Jahr wurden von Jägern und Autofahrern zusammen 292 Füchse erlegt, doch vertreiben aus der Stadt läßt sich der Fuchs nicht mehr: Die Tiere produzieren bei starker Verfolgung einfach mehr Nachwuchs. „Eine stärkere Bejagung bringt nichts“, heißt es aus der Forstverwaltung, „außer einer Menge Fuchsfellen.“ Bernhard Pötter