Letzter Schlupfwinkel bald zu

■ Tiergartens einzigem Jugendklub für türkische Mädchen droht das Aus. Der Bezirk will die Einrichtung erhalten, die Frage ist nur, wie die 200.000 Mark zu finanzieren sind

„Scheiße, Mann. Sollen die hier doch dichtmachen. Wer braucht schon so einen Scheißklub, Mann!?“ Achmed, der gar nicht so heißt, aber will, daß man ihn so nennt, knallt die Tür hinter sich zu. Die Mädchen protestieren. Wegen der Tür. Denn daß der „Schlupfwinkel“ schließt, kann selbst „Achmed“ nicht wollen, immerhin kommt er fast jeden Tag. „Ziemlich häufig“, bemerkt Eda und grinst, „für einen Scheißklub.“

Seit Beginn des neuen Jahres droht der Jugendeinrichtung in der Rostocker Straße, der einzigen in Tiergarten, die mehr als zweimal wöchentlich für über 14jährige und vor allem für Mädchen geöffnet hat, das Aus. Um 200.000 Mark geht es, meint Sozialarbeiterin Gabi Kessler. Geld für Personal, Betriebskosten, Sachmittel; Geld, das früher aus Töpfen des Senats und der Kirche kam und nunmehr ausschließlich vom Bezirk aufgebracht werden müsse. „Tiergarten hat aber kaum Mittel für seine bezirklichen Jugendeinrichtungen“, weiß sie und fürchtet, daß die Übernahme des freien Trägers an den Kosten scheitert.

Für Emel (16) wäre die Schließung eine Katastrophe. Inci, 15 Jahre alt, glaubt, daß ohne den „Schlupfwinkel“ einige der Jungs „endgültig freidrehen“. Und Eda sieht sich schon wieder als „Mädchen für alles“ zu Hause hocken. Immerhin hat sie mit Hilfe des Klubs eine Ausbildungsstelle gefunden. „Wir werden für den Schlupfwinkel kämpfen“, ist man sich einig. Ende letzten Jahres wurden innerhalb einer Woche mehr als 100 Unterschriften gesammelt. Alle, die regelmäßig in den Klub kommen und wollen, daß er bestehen bleibt, haben unterschrieben. Briefe an Politiker wurden verfaßt und abgeschickt, eine „Abordnung“ ging zum Jugendhilfeausschuß.

Viel zum „dran hängen“ scheint es in den „Schlupfwinkel“-Räumen, die einst eine Volkshochschule beherbergten, auf den ersten Blick nicht einmal zu geben. Das Mobiliar ist spärlich und verbraucht, die Technik sicher gelagert. Und was man hört, klingt nach Sisyphusarbeit für Sozialarbeiterin Gabi Kessler und Co. Eine Fensterscheibe neben dem Billardtisch ging zu Bruch. Kommentar: „Ich war's doch nicht, es war mein Schwanz“ (frei nach der Übersetzung des „Queue“ aus dem Französischen). An dem Abend, an dem dies geschah, mußte einer der drei Sozialarbeiter hinter jedem Klubbesucher die Tür verriegeln, um dem mit „lebenslangem Hausverbot“ Belegten den Zugang zu verwehren. „Der Klub hier ist keiner, der zur Selbstverwaltung taugt. Aber nach gut zwei Jahren harter Arbeit haben wir es immerhin geschafft, daß die Polizei nicht mehr zu den häufigsten Besuchern zählt.“ Alkohol und härtere Drogen sind im „Schlupfwinkel“ tabu. Seit einem Jahr gibt es außerdem Klubausweise. Von den 180 Jugendlichen, die mittlerweile regelmäßig kommen, sind 60 Mädchen, vor allem Türkinnen. Montag ist ihr spezieller Tag. Anfangs standen die Hausaufgaben im Mittelpunkt, inzwischen kommen sie vor allem, um zu schwatzen, Pläne zu schmieden, Sorgen zu teilen und den engen familiären Wohnverhältnisse zu entfliehen, meint Inci. Wohlgemerkt mit Erlaubnis der Eltern.

Für die Jungen ist das Domizil in der Rostocker Straße die „letzte deutsche Anlaufstelle“, wie Gabi Kessler festgestellt hat. Macht der „Schlupfwinkel“ dicht, werden sie sich vor allem dorthin zurückziehen, wo ausschließlich Türkisch gesprochen wird. Etwa zwei Drittel der männlichen Klubgänger haben zudem Knasterfahrungen oder sind bei den Behörden registriert, erzählt die Sozialarbeiterin weiter. Wohl wissend, daß bei nur 24 Stunden pro Woche geöffnetem „Schlupfwinkel“ natürlich immer genügend Zeit ist, um auf den Straßen Blödsinn zu treiben. „Normalerweise braucht es Mittel für eine Arbeit, die bereits in den Familien der Jugendlichen ansetzt.“ Doch fürs erste würde allen genügen, wenn der Klub weiter gefördert wird.

Das findet auch Tiergartens Jugendstadträtin Elisa Rodé (Bündnis 90/ Die Grünen). Derzeit könne die Einrichtung mit der Begründung, im „Schlupfwinkel“ werde Arbeit geleistet, zu der der Bezirk nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) gesetzlich verpflichtet ist, weiter finanziert werden. Die CDU und die Grünen haben im Jugendhilfeausschuß ein solches Vorgehen unterstützt, die SPD enthielt sich der Stimme. „Was allerdings geschieht, wenn der Haushalt verabschiedet ist und/oder der Senat versucht, aus den Soll-Bestimmungen des KJHG Kann-Festlegungen zu machen, müssen wir sehen.“ Daß es zu einem Rechtsstreit kommt, hält Elisa Rodé nicht für ausgeschlossen. Doch weitere Kürzungen dürfe es im Jugendbereich des unterversorgten Bezirks auf keinen Fall geben, betont die Stadträtin. „Sollte der Senat uns trotzdem auffordern, von unserem 423-Millionen-Haushalt, der 92 Millionen Mark Ausgaben im Jugendbereich vorsieht, weitere Abstriche zu machen, werden wir dem nicht nachkommen.“

Sozialarbeiterin Gabi Kessler und ihre Kollegen sind mißtrauisch. „Früher hatten wir pausenlos Probleme mit dem Bezirk, weil wir ein anstrengendes Haus waren. Aber der Senat finanzierte uns, weil er den Schlupfwinkel wichtig fand. Jetzt erkennt der Bezirk unsere Arbeit an, nur Geld ist keines mehr da.“ Für Emel, Berat oder Keuser ist das allerdings nur die halbe Wahrheit. Besonders dann, wenn man fast täglich an der Baustelle vom Tiergartentunnel vorbeikommt. „Nur am Geld“, sagt Inci, „kann es einfach nicht liegen.“ Kathi Seefeld