Wirtschaft will Geld vom Staat

■ Regionale Industrie- und Handelskammern fordern Investitionen des Staates, um die Konjunktur anzukurbeln. Konjunkturprognose: miserable Aussichten

Die Wirtschaft ruft nach dem Staat. „Es fehlt eine antizyklische Finanzpolitik“, beschwerte sich gestern Thomas Hertz, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin. Einfacher ausgedrückt: Die Landesregierungen an Spree und Havel sollen in der gegenwärtigen Krise mehr Geld ausgeben, um die Wirtschaft mit öffentlichen Aufträgen zu unterstützen. „Die Investitionen müssen hoch“, befand Hertz.

Anläßlich der Präsentation der Konjunkturprognose für 1997 konnte sich der IHK-Chef der Zustimmung seiner drei brandenburgischen Kollegen aus Potsdam, Cottbus und Frankfurt (Oder) sicher sein. Gemeinsame Analyse: Die Wirtschaft lahme, weil die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen zu gering sei. Die Kammern beklagen, daß sowohl die Landesregierungen als auch die privaten Konsumenten als Nachfrager zunehmend ausfielen. Allenthalben herrsche Sparpolitik: Beim Staat wegen der Haushaltslöcher, bei der Bevölkerung durch die Arbeitslosigkeit. Wie der private Verbrauch angekurbelt werden kann, interessiert die Wirtschaftsvertreter allerdings weniger. Sie schielen eher auf die öffentlichen Kassen.

Die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg sollen mehr Straßen, Schienen und Grenzübergänge nach Polen bauen, fordern die Kammern. Allerdings gehen ihnen auch die Kürzungen der Studienplätze und Institute an den Universitäten mittlerweile zu weit. Als Basis für ihre Konjunkturprognose befragten die Kammern, die sämtliche Gewerbebetriebe Berlins und Brandenburg vertreten, 2.200 Mitglieder.

Rund 20 Prozent der Befragten schätzen die Lage ihres Unternehmens gegenwärtig als gut ein, bei etwa 50 Prozent sind die Aussichten mittelmäßig. In Brandenburg befindet sich ein Viertel der Betriebe in ernsthaften Schwierigkeiten, an der Spree sind es 42 Prozent. „Der Konjunkturhimmel ist stark bewölkt“, sagte Hertz mit Blick ins blaue Firmament außerhalb der Fenster des Sitzungsaals.

Mit viel Glück werde das Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr in Berlin 0,5 bis ein Prozent erreichen, in Brandenburg zwei bis drei Prozent, schätzen die IHKs. Damit bestätigt sich die Aussicht, daß die Arbeitslosigkeit zumindest in der Bundeshauptstadt weiter zunimmt. Mehr Jobs statt Arbeitsplatzabbau gibt es nämlich erst, wenn die Wirtschaft stärker zulegt als um drei Prozent jährlich.

Wie zur Untermalung der Prognose kündigten die Konzerne Hoechst und Unilever jetzt an, ihre Berliner Betriebsstätten zum Jahresende zu schließen. Hoechst vernichtet 150 Arbeitsplätze in der Spinnstoffabrik Zehlendorf, weil die Produktion woanders billiger ist. Unilever will die Zahnpasta- Herstellung in Neukölln mit 130 Beschäftigten beenden, weil die Subventionen der Berlin-Förderung nicht mehr fließen. Hannes Koch