■ SURFBRETT
: Das lesbare Verzeichnis

Die Schulmeister, die uns vor dem Internet gewarnt haben, sind leiser geworden. Möglicherweise haben sie gespürt, daß ihnen niemand mehr zuhört. Es war so offensichtlich, daß sie wie die Blinden von der Farbe geredet haben. Kein neues Zeitalter der Barbarei ist angebrochen. Wir lesen stundenlang, lesen am Bildschirm, und haben mit müden Augen und verspannten Schultern gemerkt, daß das nur eine Notlösung ist. Bücher sind schöner, und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat den engen Zusammenhang zwischen Computersucht und Lesefieber besser begriffen als alle Kulturkritiker zusammen. Er hat das „Verzeichnis lieferbarer Bücher“ ins Internet gestellt, aufrufbar für Leute, die einen guten Teil ihres Lebens damit zugebracht haben, einer Rechenmaschine das Lesen und Schreiben beizubringen. Davon sollen sie etwas haben, dachte der Börsenverein und riß alle Tabuschranken nieder. Das Verzeichnis lieferbarer Bücher ist dieser kiloschwere Band, der im Laden hinter der Kasse liegt. Nur die Kundschaft bekommt ihn zu Gesicht, deren Wünsche über das Sortiment hinausgehen. Dann beginnt die Frustration. Wir wissen den Titel nur ungefähr, der Name des Autors ist uns entfallen, über Verlag und Erscheinungsjahr haben wir dafür mehrere Vermutungen anzubieten.

Daran ändert das Internet nichts, nur verwandelt es den Ärger in sublime Lust. Es genügt, die Adresse http://www.buchhandel.de/ einzugeben und auf der linken Rahmenseite der dann erscheinenden Homepage den Menüpunkt „Recherche“ anzuklicken. Schon öffnet sich das Verzeichnis lieferbarer Bücher als Datenbank. Das Suchprogramm enthält Felder für „Stichworte“, „Autor“ und „Sachgebiete“, jeweils ergänzt um einen Menüpunkt für den Index.

Was damit aufgerufen werden kann, gehört ins esoterische Reich der Bibliothekswissenschaft. Laien sollten es sofort wieder verlassen, sie werden feststellen, daß unter der Rubrik „Stichworte“ schadlos jene Titelfragmente eingegeben werden dürfen, die wir in Erinnerung behalten haben. Wenn nur irgend etwas davon in dem vemißten Buch vorkommt, wird es unter den Suchergebnissen auftauchen, wenn vielleicht auch nicht an erster Stelle, aber gerade darin besteht das Vergnügen: Das Verzeichnis ist eine Fundgrube geworden – bisher glich es einem Sarg.

Natürlich will auch der Börsenverein davon profitieren. Die etwa 750.000 Titel sind online bestellbar. Das einzige, was der Computer nicht übernimmt, ist das Bezahlen der Rechnung. niklaus@taz.de