Zentrum Seouls im Tränengasnebel

■ Schwere Zusammenstöße in Süd-Korea zwischen Gewerkschaftern und starken Polizeieinheiten nach der Festnahme eines Gewerkschaftsführers. Für morgen ist ein Ende der Streiks angekündigt

Nach der Festnahme eines Gewerkschaftsführers ist die Streikbewegung in Süd-Korea gestern zu den gewalttätigsten Zusammenstößen seit zehn Jahren eskaliert. Mehr als 25.000 Demonstranten griffen in Seoul Polizeiabsperrungen mit Metallstangen und Steinen an. Die Polizei setzte Tränengas ein und schlug mit Knüppeln auf die Menge. Das Stadtzentrum lag unter einer dichten Tränengaswolke.

Rund 40.000 Demonstranten forderten bei ihrem Marsch durch die Hauptstadt den Rücktritt von Präsident Kim Young Sam. In getrennten Kolonnen zogen sie zur Nyondong-Kathedrale. Dort campieren seit Beginn der Proteste am 26. Dezember sieben Gewerkschaftsführer, die nach Angaben der Nachrichtenagentur Yonhap ebenfalls festgenommen werden sollten. Am Abend gelang es rund 1.000 Demonstranten, eine Polizeiabsperrung um die Kathedrale zu durchbrechen, wie Augenzeugen berichteten. Vor den Zusammenstößen war in der Hafenstadt Mokpo der Chef der Metallarbeitergewerkschaft, Kim Byong Soo, festgenommen worden.

Beobachter sprachen von den schwersten Unruhen seit 1987, als Zehntausende von Südkoreanern gegen die Militärherrschaft des damaligen Präsidenten Chun Doo- Hwan protestierten.

Die regierende Neue Korea- Partei (NKP) warf den Streikenden vor, linksgerichtete Flugblätter zu verteilen und von „subversiven Kräften“ unterwandert zu sein. Der Leitende Staatsanwalt in Seoul erklärte im Fernsehen, die Demonstranten seien „Linksradikale“ und stünden im Dienste Nord-Koreas. In Süd-Korea ist dies ein schwerwiegender Vorwurf. Die Regierung bezeichnete die Streiks erneut als illegal.

Im Finanzviertel von Seoul hielt die gemäßigte Dachgewerkschaft FKTU eine eigene Kundgebung ab, an der 10.000 bis 20.000 Menschen teilnahmen. Einige Demonstranten warfen Eier auf die Zentrale der NKP, zu Gewalttätigkeiten kam es dort jedoch nicht. Der verbotene Gewerkschaftsdachverband KCTU, der zu dem Ausstand aufgerufen hatte, kündigte an, die Streiks im öffentlichen Dienst würden am Freitag beendet. Als Grund nannte KCTU-Chef Kim Young Kil den „negativen Einfluß auf die staatliche Wirtschaft“ und die Unannehmlichkeiten für die Bevölkerung. Nach Gewerkschaftsangaben legten am Mittwoch 770.000 Beschäftigte ihre Arbeit nieder, während das Arbeitsministerium von lediglich 120.000 Streikenden sprach. AFP/AP