Knüppelgeld eingeklagt

■ Premiere: Bonn soll Polizeikosten für die Castor-Transporte übernehmen

Hannover (taz) – Die Castor- Transporte könnten bald für den Bundeshaushalt noch teurer werden als bisher. „Sonderlastenausgleich“ heißt in der Juristensprache, was Niedersachsen jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht vom Bund einklagt. Das Land will von Bonn per Verfassungsklage seine Kosten bei den bisher größten bundesdeutschen Polizeieinsätzen erstattet haben – für jene zwei Aufmärsche im April 1995 und Mai 1996, mit denen es die ersten Castor-Transporte ins Gorlebener Zwischenlager durchsetzte.

Die Klage ist ohne Beispiel: Noch nie hat ein Land den Bund nach Artikel 106, Absatz 8 des Grundgesetzes verklagt. Nach dieser Verfassungsbestimmung hat der Bund Ausgleich für Sonderbelastungen zu gewähren, die einzelnen Ländern oder Gemeinden unmittelbar durch besondere Einrichtungen entstehen, die der Bund auf ihrem Gebiet veranlaßt hat. Daß das Gorlebener Zwischenlager eine solche vom Bund veranlaßte „besondere Einrichtung“ ist, läßt sich kaum bestreiten: Der Bund hat die Genehmigungen für die Gorlebener Castor-Halle und für die Einlagerung von hochradioaktivem Müll erteilt. Die beiden ersten Castor-Transporte dorthin hat er durch sein Bundesamt für Strahlenschutz erlaubt.

Auf 24,9 und 46,1 Millionen Mark beziffert die Verfassungsklage die betriebswirtschaftlichen Kosten, die allein Niedersachsen durch die bundesweiten Großeinsätze entstanden sind. Darin enthalten sind Stundensätze für die niedersächsischen Polizisten, Sachkosten, Mehrarbeitszuschläge und auch die Zahlungen an andere Bundesländer für ins Wendland abgeordnete Hundertschaften.

Ob diese Belastung tatsächlich „unmittelbar“ auf das vom Bund veranlaßte Zwischenlager zurückgeht, wie es der Artikel 106 des Grundgesetzes für einen Anspruch auf Sonderlastenausgleich verlangt, hat nun das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden. Immerhin ist die Polizei eine Länderaufgabe. Und die 71 Millionen Mark hat nicht das Zwischenlager selbst, sondern die Unterdrückung des Protests dagegen gekostet.

Bei ihrer Klage kann sich die Schröder-Regierung allerdings darauf berufen, daß der Bund schon in den Jahren 1979 bis 1992 410 Millionen Mark zum Ausgleich für die Belastungen durch die Entsorgungsanlagen im Wendland überwiesen hat. Hinzu kamen noch 24,5 Millionen für Investitionen im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Einen Teil der Gelder, die wendländische Atomkraftgegner stets als Schmiergelder ansahen, gab das noch von Ernst Albrecht regierte Land an den Landkreis und seine Gemeinden weiter. Die dem Land verbleibende Summe war allerdings schon damals größtenteils als Knüppelgeld, als Erstattung von Polizeikosten, gedacht. Jürgen Voges