Wolf punktet gegen Bundesanwälte

Im Prozeß gegen den früheren DDR-Spionagechef Markus Wolf korrigiert sich die Bundesanwaltschaft. Das Image des „Antifaschisten“ Angerer durch Aktenhinweise erschüttert  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Auf diese Botschaft legt Markus Wolf ganz besonderen Wert: Georg Angerer, der Mann, den er Anfang März 1959 „insbesondere deshalb“ – so steht es in diversen Stasi- Akten – inhaftieren ließ, weil Angerer im norwegischen Exil eine Verbindung zu Willy Brandt hatte, „war kein Antifaschist“.

Im Düsseldorfer Gerichtssaal nutzt der Angeklagte Wolf und einstige Spionagechef der DDR jede Gelegenheit, um Angerer als „Gestapo-Schergen“ zu qualifizieren. Mit dem in Leipzig arbeitenden Schriftsetzer hatten die Stasi- Gewaltigen Großes vor. Sie wollten ihn einspannen, um den damaligen Oberbürgermeister von West-Berlin, Willy Brandt, „zu überführen, daß er mit der Gestapo zusammengearbeitet hat“. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft diente die Inhaftierung allein dem Ziel, Angerer als Kronzeugen gegen den Sozialdemokraten Brandt „gefügig zu machen“.

Wolf bestreitet das vehement. In dem von ihm unterzeichneten Haftbeschluß wird als Grund der Inhaftierung der dringende Verdacht angegeben, Angerer sei „faschistischer Agent“ gewesen und habe Beihilfe zum Totschlag geleistet. Er habe, so erläutert Wolf seine Unterschrift, „überhaupt keine Bedenken“ gehabt, den Beschluß zu unterzeichnen, „denn ich ging davon aus, daß es sich bei Angerer um einen Mann handelte, dem schwerwiegende Verbrechen vorgeworfen wurden“.

Von norwegischen Widerstandskämpfern, die Angerer während der Ostseewochen ein paar Monate vorher wiedererkannt hatten, war Angerer tatsächlich als Gestapo-Gehilfe und Beteiligter an Folterungen beschuldigt worden. Insofern war der Haftbeschluß vom März 1959 nicht ohne Substanz. Aus vielen MfS-Dokumenten geht indes gleichzeitig hervor, daß es das oberste Ziel der Festnahme war, mittels Angerer „die Verbindung Brandts zur Gestapo nachzuweisen“, wie es in einer Vorlage der HVA vom 12.März 1959 heißt. Und weiter: „Eine bloße Befragung ohne Verhaftung wird nicht das gewünschte Ergebnis bringen.“

Letztendlich brachte Angerer das „gewünschte Ergebnis“ trotz monatelanger Verhöre nicht. Alle MfS-Beteiligten wußten zum Zeitpunkt der Verhaftung aber, daß das Totschlagsdelikt nach DDR- Recht längst „verjährt“ war. Das steht explizit in einem weiteren MfS-Dokument vom 13.2. 59. Die Inhaftierung sei vor allem wegen Brandt „von Bedeutung“, heißt es dort. So abwegig, wie Wolf glauben machen versucht, ist die Formulierung der Bundesanwaltschaft – „sollte gefügig gemacht werden“ – deshalb nicht. War Angerer nun aber ein „Antifaschist“, wie ihn Bundesanwalt Joachim Lampe noch im ersten Wolf-Prozeß 1993 genannt hatte, oder ein „Gestapo-Scherge“, wie Wolf behauptet?

Während der Naziherrschaft arbeitete Angerer zusammen mit Brandt in Norwegen in einer Emigrantengruppe. Als die Wehrmacht Norwegen überfiel, floh Brandt nach Schweden, während Angerer sich der deutschen Besatzungsmacht zur Verfügung stellte. Zunächst als Dolmetscher der Gestapo und zeitweise sogar als Gefängnisleiter. Die Beschuldigungen, er habe auch selbst an Folterungen aktiv teilgenommen, wies Angerer bei seinen Verhören zurück. Er will im Gegenteil „Widerstandskämpfer, denen Gefahr drohte, gewarnt“ haben. Im Haftentlassungsbeschluß vom 27.7. 1959 heißt es, daß diese Darstellung durch in norwegischen Zeitungen nach 1945 wiedergegebenen Aussagen von Zeugen „bestätigt“ worden sei. Angerer habe Menschen aus dem Widerstand „geholfen“ und sich ihnen gegenüber „korrekt verhalten“. Außerdem, so heißt es in einem Bericht der MfS-Untersuchungskommission, sei Angerer nach dem Krieg in Norwegen vor Gericht gestellt und freigesprochen worden. Angerer also doch ein Antifaschist? Davon ging die Bundesanwaltschaft in Anbetracht der MfS-Akten jahrelang aus. Doch dann stieß sie Anfang 1996 nach Darstellung von Lampe in den Stasi-Akten auf ein Aktenzeichen, das auf ein Ermittlungsverfahren der norwegischen Generalstaatsanwaltschaft hindeutete. In diesem Verfahren sind gegen den 1987 verstorbenen Angerer so schwerwiegende Verdachtsmomente wegen Mißhandlungen und Körperverletzung mit Todesfolge erhoben worden, daß auch Lampe inzwischen in Angerer einen „Gestapo-Schergen“ sieht. Von dem in MfS-Akten behaupteten „Freispruch“ könne auch keine Rede sein, denn es habe gar keinen Prozeß gegen Angerer gegeben.

Warum die norwegischen Behörden ihn trotz der massiven Beschuldigungen laufenließen, weiß bisher niemand in Düsseldorf zu erklären. Bundesanwalt Lampe wirft Wolf und dem MfS nun vor, sich um die Ermittlungen der Norweger „nie gekümmert“ und statt dessen einen „Gestapo-Schergen in einen Antifaschisten umgepolt“ zu haben.