Wenn weibliche Roboter sich umziehen

■ Neu im Kino: „Ghost in the Shell“, seltsame Zeichentrick-Science Fiction aus Japan

Was in den 80ern die blutrünstigen Splatterfilme waren, sind in den 90ern die japanischen Mangafilme: Sammelobjekte vorwiegend männlicher Jugendlicher und laut-bunter Anlaß für kultisch zelebrierte Video-Marathons. Die Zeichentrick-Epen schildern zumeist den klassischen Kampf der Guten gegen die Bösen, wobei beide Seiten mit ihren Gegnern nicht zimperlich umgehen. „Ghost in the Shell“ von Mamoru Oshii ist anders: Die Fronten sind keineswegs klar, und geschossen wird erst, wenn alle ausgeredet haben.

Im Jahre 2029 ist die ganze Welt zwar noch vernetzter als heute, aber die einzelnen Nationen und ethnischen Gruppen liegen weiterhin im Clinch. Da haben die Diplomaten Japans, der Weltmacht No. 1, alle Hände voll zu tun. Einen Großteil ihrer Arbeit verrichten sie bereits als künstliche Intelligenzen auf den Datenautobahnen. So leben Diplomaten doppelt gefährlich: Zum einen machen ihnen verbrecherische Hacker das Leben schwer, zum anderen gibt es nach wie vor die klassische Attentätervariante mit Bomben und Handfeuerwaffen. Für die Sicherheit sorgen Wesen wie Major, ein weiblich geformter Kampfroboter mit menschlichen Gehirnzellen. Major allerdings beginnt an der Richtigkeit ihrer Obrigkeitshörigkeit zu zweifeln; immer öfter bemerkt sie Störgeräusche im Gehirn. Als der gefürchtete Superhacker Puppetmaster gefaßt wird, lernt sie, daß auch andere Maschinen nach Menschlichkeit streben. Puppetmaster ist der Prototyp einer komplett künstlichen Intelligenz, der um politisches Asyl bittet. Angetan von seinem freien Willen, möchte jetzt auch Major eine ganz normale Frau werden...

„Ghost in the Shell“ vermischt klassische Animationen so clever mit retuschierten Fotohintergründen, Computergrafiken und geschickt gesetzten Unschärfen, daß man zeitweise vergißt, daß es sich um einen Zeichentrickfilm handelt. Mit ihrer urbanen Neon-Ästhetik und der Mensch/Maschine-Thematik hat die Comic-Verfilmung Ähnlichkeiten mit Filmen wie „Robocop“ oder „Bladerunner“, lotet die inhaltlichen Tiefen des Stoffes aber genauer aus: Wenn die DNA nur ein Code ist, gelten Menschenrechte dann auch für Geschöpfe, die auf anderen Programmen basieren? Haben künstliche Intelligenzen ein Geschlecht? Und hat ein Mann dezent den Blick zu senken, wenn ein weiblicher Roboter sich umzieht?

In den kurzen Schießereien fliegen je nach Größe des Kalibers schonmal Blutspritzer oder Wirbelsäulen, aber das mangatypische Action-Bombardement bleibt aus. Selbst die obligatorische Riesenexplosion zum Finale verweigert der Film. Stattdessen gibt es schließlich als Showdown einen ausführlichen Dialog zwischen Puppetmaster und Major, der die kybernetische Söldnerin auf den Pfad der menschlichen Tugend bringt. Zu gucken gibt es dank der handwerklichen Raffinesse dennoch einiges, nur sind die Bilder ruhiger und poetischer als in diesem Genre üblich. Ist der gemeine Manga etwas für Techno-Kids, die möglichst viele Beats pro Minute brauchen, wendet sich der Film eher an ein Klientel, das den Körper am liebsten zu Trance- oder Ambient-Klängen wiegt. Andreas Neuenkirchen

Kino 46, Freitag & Samstag 22.30 Uhr, Sonntag 18.30 Uhr