Fagott in der Rush-Hour

■ Kampnagel: Ensemble „EOS“ parodierte Neues durch Altes

Wenn eine klassische Instrumentalistenbesetzung sich musikalisch so etwas wie dem „falschen Signal“ im Autoverkehr widmet, gibt es dafür eine Tradition. Der vermeintlichen Überdrehtheit der Gegenwart stellt man musikalische Klänge gegenüber, die im Prinzip auch schon die Menschen des 18ten und 19ten Jahrhunderts gehört haben. Nur werden die seinerzeit gebräuchlichen Instrumente nicht so behandelt, wie die Komponisten dieser Epochen es den Musikern vorgeschrieben hätten.

Stattdessen schiebt beispielsweise der Komponist Martyn Harry die traditionelle Aufgabe der E-Musik beiseite, das Erhabene, das Tragische, die Schicksalsverstrickung oder eine Gottespreisung in seinen Stücken anzugehen. Sein von dem Ensemble EOS in der Halle 2 der Kampnagelfabrik aufgeführtes Stück Signal Failure zielte am Dienstag abend musikalisch vielmehr auf die an Perversionen reiche Zivilisation.

Während über einen Video-Projektor im Zeitraffer aufgenommene Automassen über die Rückwand des Saals fluktuierten, legten EOS unter der Leitung des Dirigenten Charles Hazelwood los. Doch weder das Ensemble noch der Komponist hatten sich vorgenommen, ernsthaft herauszufinden, wie eine Rush Hour wirklich klingt, geschweige denn, ob es an ihrem Klang oder an ihrem Aussehen etwas zu bewundern gibt. Es ging den Beteiligten wohl eher darum, musikalisch einen Abstand zu dem Dargestellten einzulegen.

Um diesen Abstand zu erreichen, bemühte Harry vor allem zwei Genres, nämlich die Parodie und die Burleske. Der Anlaß zur Parodie ergab sich allerdings nicht aus einer Wahrnehmung der heutigen Wirklichkeit, sondern schlicht aus der Feststellung, daß seit der Erfindung zum Beispiel des Fagotts viel Wasser in die Ozeane geflossen ist.

Die angesprochene Tradition, neue Phänomene mit alten Instrumenten zu kommentieren, ergibt hier eine spezielle Art, den Begriff Anachronismus für sich nutzbar zu machen: Man stellt fest, daß beispielsweise dem Fagott nicht mehr zugetraut wird, so viel von dem darzustellen, was das Leben „früher“ ausmachte. In einer etwas angestrengten Trotzreaktion insistiert man im Folgenden darauf, daß das Auto nicht in die Zeit paßt, in der das Fagott erfunden wurde. Oder kaschiert sein Insistieren, indem man aus allem Heutigen nur den Stoff für eine musikalische Posse destilliert. Martyn Harry will offensichtlich nicht akzeptieren, daß längst überall alle Epochen im selben Moment ihre Ansprüche auf Gegenwärtigkeit erheben.

Kristof Schreuf