Nach Hause oder auf den Schrott?

■ Seit über einem Jahr gammelt der nigerianische Frachter River Adada im Freihafen vor sich hin / Nun will die Reederei das Schiff auslösen Von Thomas Weihe (Text) und Philip Banse (Fotos)

„In zwei Wochen werden unsere Schulden bezahlt und die River Adada wird zu Blohm + Voss ins Dock geschleppt“, sagt ein Offizier des nigerianischen Frachters. Musa Shehu, Manager der nigerianischen Staatsreederei The Nigerian Shipping Line Ltd., bestätigt: „Das Finanzproblem ist gelöst, die Seeleute werden bald nach Hause fahren.“ Vor über einem Jahr wurde die Adada gepfändet und rostete seitdem im Freihafen vor sich hin. Ob man an ein Happyend glauben darf? „Vielleicht“, sagt Harry, Maat auf dem über 200 Meter langen Schiff (Namen und Rang aller Besatzungsmitglieder geändert), „jedenfalls habe ich lange genug gewartet. Ende des Monats fahre ich nach Hause.“

An ihrem völlig verlassenen Abstellkai liegend, sieht die River Adada aus wie ein Seelenverkäufer, der kurz vor dem Versinken noch einmal Station gemacht hat. Die Reste der verblichenen und zerrissenen nigerianischen Flagge flattern kläglich am Heck. Unterhosen, Fernseher, kaputte Stühle, Sofas und Waschmaschinen und eine Autokarosserie sind im Rostgeprökel übers Deck verteilt. Innenwände sind zerbrochen, in der Küche fangen Eimer hereintropfendes Wasser auf.

Es scheint, als würde sich auf Deck nichts, was eigentlich drehbar sein sollte, noch bewegen lassen, als sei alles entweder festgerostet oder würde bei Berührung sofort zerbröseln.

Im Februar 1994 war der 13 000-Bruttoregistertonnen schwere Frachter aus Afrika nach Hamburg gekommen. Man wollte ein paar Reparaturen machen, Fracht laden und zurückfahren. Weil die Reederei aber einige deutsche Firmen nicht bezahlt hatte, pfändeten die Behörden das Schiff: Kuckuck ans Steuerrad, Ablegen verboten. Genauso wurden weitere Schiffe der nigerianischen Staatsreederei in London und Rotterdam an die Kette gelegt, die in den nächsten Tagen angeblich auch ausgelöst werden sollen.

Um die Besatzung kümmerte sich die Reederei kaum. Nicht einmal genug zu essen gab es, bis die Zeitung mit den vier großen Lettern die Hamburger Bevölkerung aufrief, Lebensmittel zu spenden. Ab dann ließen die Chefs Verpflegung anliefern: Schweinehälften, Lammkeulen und Steaks, säckeweise Reis oder Eimer voll Pflanzenfett. Nur neun Seeleute blieben an Bord. Lohn zahlte man bis September 1994, teils an die Familien in Nigeria, teils an die Besatzung hier. Dann gab's erstmal kein Geld, Anfang März wenigstens ein Vierteljahresgehalt. Was sie getan haben in all der Zeit? „Eigentlich nichts“, erzählt der Navigator. Das Schiff habe man ein bißchen in Ordnung gehalten, sei mal in den Seemannsclub gegangen. „Manche haben hier im Hafen Leute kennengelernt und mit denen mal etwas unternommen.“

Die River Adada wurde eine Hafenattraktion, jeder, der hier arbeitet, kennt ihre Geschichte und noch mehr Gerüchte. „Der Frachter ist in schlechtem Zustand“, erklärt ein Touristenführer seinen Passagieren auf der Rundfahrt. Die Polizei wäre öfters auf dem Schiff gewesen, um nachzusehen, ob man das verrostete Deck schon mit Stangen durchstoßen könne. Das Gesundheitsamt, habe nach Ratten geschaut und Gift dagelassen. Immerhin – die River Adada schwimmt noch. „Sie ist ein sehr gutes Schiff, man müßte sie nur reparieren“, behaupten die Besatzungsmitglieder weiterhin.

Warum haben sie sich eigentlich widerspruchslos so lange im Freihafen gelangweilt, weit weg von ihren Familien? Schon seit 20 Jahren fahre er auf Schiffen dieser Reederei, sagt Koch John: „Die Firma war immer in Ordnung.“ Und Navigator Martin erklärt: „Ohne unseren Lohn wollten wir nicht weg.“ Jan Oltmanns, Seemannsdiakon aus dem Seemannsklub Duckdalben sieht es anders: „Von ihren 50 Dollar Lohn im Monat können sie ihre Familien nicht ernähren. Geld verdienen sie, indem sie Schnitzereien und andere Sachen aus Nigeria mitbringen und hier verkaufen. Hier kaufen sie dann Fernseher, oder Kühlschränke, für die sie in Nigeria viel Geld bekommen.“ Weil sie das im Flugzeug nicht mitnehmen könnten, so Oltmanns, „bleiben sie so lange, wie sie hoffen, irgendwann per Schiff zurückfahren zu können.“

Mit der Abreise ist es einigen jetzt anscheinend ernst. Harrys Kabine steht voll gepackter Taschen: „Zur Not fliege ich.“ Manche Koffer hat die Crew den Seeleuten auf einem anderen nigerianischen Frachter mitgegeben, der kürzlich Hamburg verlassen hat. Ob sich wirklich bald alle Probleme lösen und die Seeleute auf der River Adada zurückfahren werden? Manager Shehu ist sich ganz sicher: „Jetzt wird bezahlt, repariert und dann geht es zurück nach Afrika.“ Auch der Agent der Reederei sagt: „Da wird bald etwas passieren.“ Hafenarbeiter glauben von alledem kein Wort: „Versteigerung, wenn's einer haben will, wahrscheinlich kommt's auf den Schrott. Da ist nix mehr zu retten.“ Und die Besatzung? „Wir werden sehen“, sagt Harry, „in zwei, drei Wochen.“