Athen, Rom, Paris, Jena

■ Ein fröhliches Interview mit Werner Büttner über Bürgermeister, die den Russen mit einer Marx-Dissertation entgegenrobbten, blaue Augen und Löcher in der Wand Von Hajo Schiff

Mit Texten, Zeichnungen und Gemälden gibt der Kunstverein in Hamburg Einblick in Werner Büttners Arbeit der letzten Jahre. Wir sprachen mit dem Künstler, der seit 1989 auch Professor an der Hamburger HfbK ist.

taz: Bei ihren Übermalungen der Illustrationen des Naturforschers Ernst Haeckel wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er wie Sie aus Jena stammt. Das von Ihnen gestaltete Restaurant unterm Kunstverein, in dem wir sitzen, heißt Jena-Paradies. Was ist so wichtig an Jena?

Werner Büttner: In diesem Jahrhundert des Personenkultes gönne ich mir einen Städtchenkult. Da bot sich die Heimatstadt an. Dort ist soviel passiert. Die Beschäftigung damit kann man auch als Bildungsprogramm betrachten. Angefangen von Karl Marx, der dort seine Dissertation abgeben durfte, nachdem er in Berlin abgelehnt worden war... 1945 robbte der Bürgermeister den einmarschierenden Russen auf den Knien entgegen und präsentierte diese Dissertation. Hegel, Goethe, Schiller und die ganze deutsche Romantik waren da. Dann der Darwinismus, den Haeckel durchsetzte in Deutschland. Haeckels Buch Die Welträtsel wurde dann geradezu die Bibel von Lenin. Diese Lampen hier sind inspiriert von Walter Dexel, der lange Zeit Leiter des Kunstvereins in Jena war; da auf dem Tresen ist der Grundriß der Irrenanstalt Jenas, in der Nietzsche war, und so weiter. Da war einfach viel los. Es ist jetzt gerade ein Buch erschienen: Evolution des Geistes, Jena um 1800. Darin wird Jena mit dem Athen des Perikles, dem Rom des Augustus und dem Paris der Enzyklopädisten verglichen, wofür ich seit langem plädiere.

Die Haeckel-Serie heißt „Letzter Sonnenstrahl des neunzehnten Jahrhunderts“. Ist dieser metaphorische Titel ihre Erfindung?

Nein. Ich habe auf dem Flohmarkt die Aquarelldrucke von Haeckel gefunden. Die waren aber nicht besonders gut, für meine Begriffe. Und da wollte ich sie retten. Ich kaufe oft Laienarbeiten, die vom Ansatz her gut sind, und versuche, sie zu retten, während meine Kollegen oft zerstören durch Übermalung. Die von Haeckel waren ja sehr dilettantisch. Aber unter einer stand genau dieser Titel: „Letzter Sonnenstrahl des neunzehnten Jahrhunderts“. Er hat diese Reise 1899 angefangen und den Jahrhundertwechsel auf irgendeiner Insel erlebt. Den Titel fand ich so poetisch, daß ich die ganze Mappe mit den Fotogravüren so nennen wollte.

Ist dieses Verhältnis zu Laienarbeiten so ähnlich, wie wenn Sie Schülerarbeiten in ihre eigene Ausstellung integrieren?

Darüber habe ich so noch nicht nachgedacht. Ich wollte mit dieser Ausstellung im Kunstverein in Hamburg mal ein klein wenig auf die Lehre, die ich hier in Hamburg mache, hinweisen. Da bot sich an, dieses schöne blaue Auge der Studentin zwischen die jeweils acht Blätter der Seminarvorlagen zu hängen. Das blaue Auge hat sie sich übrigens beim Tanzen mit Kippenberger geholt.

Als Arbeitsmaterial sind die Blätter ja sehr edel.

Das waren Fotokopien. Für die Ausstellung hier haben wir sie auf graumeliertes Papier kopiert. Das ist ja auch eine kleine Anspielung auf den Reife- bzw. den Alterungsprozeß.

Das Zaunkönignest mit den Zigarettenkippen, zentrale, feierlich präsentierte Plastik der Ausstellung, bringen sie mit dem Chateau Montaignes in Beziehung.

Den Titel habe ich zurückgenommen, es heißt jetzt „Allusion“, die rhetorische Form der Anspielung. Übrigens hat auch Montaigne wieder eine Beziehung nach Jena: Der Großvater hatte das Vermögen der Familie mit dem Waid-Handel gemacht, einer einst nur in Thüringen vorkommenden Pflanze (isatis tinctoria) zur speziellen Blaufärbung von Stoffen.

Was für eine Haltung muß ein Kunstverbraucher haben, um alle ihre komplexen Konnotationen zu erschließen?

Er muß nicht alles erschließen, denn gute Arbeiten sind immer überdeterminiert, haben mehrere Einflugschneisen. Und es gibt die schöne Definition: Kulturen sind Erinnerungsgemeinschaften. Ich habe das noch mehr vereinfacht, indem ich sage: Welt ist Anekdote. Es macht doch sehr viel Spaß, eine gute Geschichte zu erzählen, gerade wenn man einen Job hat wie ich.

Bei soviel Mischung von bildender Kunst und Literatur, warum schreiben sie nicht?

Tu ich ja. Meine Kataloge sind ja ziemlich anders als üblich. Und mein Alterswerk sollte ein zweibändiges Buch über Jena werden. Aber ob ich das noch schaffe?

Was ist mit der alten Gruppe mit Kippenberger und den Oehlens?

Freundschaftliche Kontakte, aber wenig gemeinsame Projekte mehr. 1992 gab es im Münchner Kunstverein die Ausstellung mit dem gräßlichen Titel „Malen ist Wahlen“, zehn Jahre nach „Wahrheit ist Arbeit“. Aus dem Katalog sieht man: Die Gruppe war eingeschlafen. Das ist immer das Schicksal dieser Karriere-Rudel.

Ist das nicht typisch für das allgemeine Ende von kollektiven Bestrebungen?

Der Individualismus gallopiert angeblich am Ende des Jahrhunderts besonders. Aber es gibt immer noch Gruppen, die sich zusammenschließen, sich bedingungslos die Meinung geigen und dann versuchen, ihre Welt zu verändern durch Karrieremachen. Ich war nun auch der erste, der sich eine gute Wohnung nahm und geheiratet hat, und da gab es natürlich weniger Zeit für die Kumpels. Man kann nicht sein ganzes Leben randalieren. Man kann es versuchen, man sollte es vielleicht. Nehmen Sie Magritte: Dahinten ist ein Foto, wie er versucht, in ein geschlossenes Restaurant einzudringen. Oder denken Sie an die drei Flugblätter, die der gutbürgerlich sich tarnende Magritte 1946 verteilt hat: „der Blödmann“, „der Scheißer“, „der Arschficker“: Da war er 52 Jahre alt und hatte danach keine Freunde mehr. Das Zaunkönig-Objekt ist ja auf seinem Sockel und mit den grauen Keilen sehr stark inszeniert. Hat sich da für Sie eine ganze Theorie verdichtet?

Das werde ich aber nicht verraten.

Getreu dem alten Büttner-Satz: Du sollst Deine metaphysischen Informanten nicht preisgeben?

Ja. Dann ist das Objekt auch Teil des Arangements. Meine Bilder wie die Pfefferschote sind ja jetzt sehr grell geworden, die nehmen sich sonst gegenseitig das Licht weg, wenn da nicht etwas dazwischen kommt.

Welche Funktion hat denn heute Malerei?

Dieselbe wie früher. Ein gutes Bild findet jemand, dem es was bedeutet, und der macht dafür Löcher in die Wand.