Nach der Wende richtig kriminell

■ „Das Gangsterbüro“, der neue Krimi des Hamburgers Robert Brack, kommt langsam, aber gut

Es gibt verschiedene Gründe, warum man zu Büchern greift. Einmal eine Art geistige Reinigung, die dann immer mit Durchhalten zu tun hat und Züge einer religiösen Buße trägt. Oder aber man will den Bildungsstand erhöhen, ob nun über Inhalt oder Name-dropping, sei dahingestellt. Manchmal will man sich aber lesend entspannen und amüsieren. Bei Krimis gilt wohl vor allem letzteres – trotz aller gegenteiligen Bekundungen. Der Bildungsbürger hilft sich dann aus der Amüsement-scheuen Patsche, indem er von einem „guten Krimi“ spricht, wenn neben der Unterhaltung noch das literarische Anspruchsdenken befriedigt wird.

Das scheint Robert Brack, Autor von Das Gangsterbüro, zu wissen und auszunutzen. Denn gerade der erste Teil des Krimis, in dem die Karten auf dem Tisch ausgebreitet werden, strotzt vor dokumentarischem Material, das an den Bildungshunger appelliert. Man erfährt – schon mehr als beiläufig –, welche Probleme eine kleine portugiesische Tasca mit den EU-Richtlinien hat, die Eichstriche vorschreibt, obwohl der Wirt Senhor Pereira die Weingläser ohenhin immer bis zum Rand füllt. Dieses Thema der Beschränkung des kleinen Mannes durch die große Politik klingt später auch im Lebenslauf des Protagonisten an: des ehemaligen Stasi-Mitarbeiters, der sich nach 1989 Anton Ruger nennt.

Wie dieser, nach der Wende natürlich arbeitlos, zu einem neuen Job im Gangsterbüro kommt, auch das erzählt der erste Teil des Romans. Allerdings verführt die Versessenheit auf Bezüge den Autor bisweilen zu einer recht spröden, ausdruckslosen Sprache – „grau bis weißhaarig“ sind die Männer, und „laut eigener Einschätzung“ waren sie gute Soldaten.

Auch das Vorleben von Rugers Mitarbeiterin im Gangsterbüro, der polnischen Hure Lis, wird hier ausgebreitet und gerät arg ins Fahrwasser des vielbemühten „gefallenen Engels“, mißbraucht vom Stiefvater. Hier kann sich Brack nicht recht für eine einzige Hauptperson entscheiden und erzählt zu viele Vorgeschichten, die keine späteren Haltungen und Äußerungen bedingen.

Doch was da so gemächlich eingeleitet wird, steigert kontinuierlich das Erzähltempo. Kurze Regieanweisungen wie „ironisches Lächeln“ ersetzen ausschweifende Narrationen. Überhaupt ist beinahe allen Personen ein Faible für Kino gemeinsam, was Brack, der 1993 den Preis der Raymond-Chandler-Gesellschaft erhielt, als Cineasten ausweist. Im zweiten Teil werden die Personen, die zuvor nur lose durch Andeutungen verknüpft wurden, rasch in das Ränkespiel der ehemaligen Geheimdienste und Privat-Organisationen verwoben. Gegenseitig und aus unterschiedlichen Motiven jagen sich diese ein Bild des rumänischen Impressionisten Severu ab, das zuletzt in Portugal auftauchte.

Im letzten Teil hetzt dann ein schillerndes Panoptikum schräger Randfiguren durch Das Gangsterbüro, wie die sadistischen Michelin-Zwillinge und ein ehemaliger Kung-Fu-Schauspieler, der, um im Filmgeschäft zu bleiben, einen Auftragsmord verrichtet. Dieser Teil ist auch treffend mit dem zitierten Motto überschrieben: „Wißt ihr, worauf es hinausläuft? Es sind richtige Gangster.“ Und beinahe ist man versucht, dies Motto für den ganzen Roman zu paraphrasieren. Denn erst zum Schluß läuft es auf einen richtigen Krimi hinaus, der locker, unambitioniert und nebenbei die erwähnten Gründe fürs Lesen einlöst. Volker Marquardt Robert Brack: Das Gangsterbüro, Edition Nautilus, 19,80 DM