Ein neuer Weg zur Chancengleichheit

■ Hamburger Großbetriebe helfen bei der Suche nach Kindergartenplätzen Von Lisa Schönemann

Früher wurde nach Gold, Öl oder anderen Schätzen gegraben. Wer heute wochenlang erfolglos unterwegs ist, der sucht vermutlich einen Kindergartenplatz. Der Nachwuchs und der Job: Zwei Dinge, die sich schwer in Einklang bringen lassen.

Das soll sich – zumindest für die MitarbeiterInnen von fünf Hamburger Großbetrieben – jetzt ändern. Die Beiersdorf AG hat den Anfang gemacht. 1994 wurde für Mütter und alleinerziehende Väter des 1700 Mitarbeiter zählenden Werkes in Hausbruch eine neue Möglichkeit geschaffen, die Kinder während der Arbeitszeit in qualifizierte Obhut zu geben. Ein „Familienservice“ kümmert sich darum, daß die Kinder tagsüber betreut werden. Je nach den Wünschen der Eltern hält der „Familienservice“ nach einem Kindergartenplatz, einer Tagesmutter oder einem Au-Pair-Mädchen Ausschau. Außer Beiersdorf haben sich auch Philips, der Medizingerätehersteller Johnson & Johnson in Norderstedt und die Vereins- und Westbank dem Projekt angeschlossen. Der Otto-Versand soll demnächst folgen.

Die Sozialpädagogin Anke Schulz-Henke hat den „Familienservice“ aufgebaut. „Bevor wir den Eltern eine Kinderbetreuung vermitteln, gucken wir ganz genau nach ihren Erziehungsvorstellungen“, sagt die Projektleiterin, die zuvor im Verband der Hamburger Tagesmütter und -väter aktiv war. „Mittlerweile verfügen wir über eine Kartei mit in Frage kommenden BetreuerInnen.“ Doch selbst wenn das Kind versorgt ist, bleiben gerade für die Alleinerziehenden noch viele Fragen offen. Wer springt im Krankheitsfall ein? Wer macht den Haushalt? Der „Familienservice“ verfügt über einige „Notmütter“, die kurzfristig einspringen, die Kinder pflegen und sich um das Nötigste kümmern.

Eine Vermittlung, die nur Firmenangestellten zusteht, kostet zwischen 1000 und 1500 Mark, die vom Arbeitgeber getragen werden. (Die Kosten für die Unterbringung des Kindes werden nicht vom Betrieb übernommen.) Die Unternehmen machen da eine klare Rechnung auf, die besagt, daß der Vermittlungsservice wesentlich günstiger ist als ein eigener Betriebskindergarten. Die Vereins- und Westbank etwa wendet nach einer Anschubfinanzierung jährlich rund 24.000 Mark für das Projekt auf. Ohnehin wurden in vielen Firmen die Pläne für einen Betriebskinderhort ad acta gelegt, als in Bonn ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz beschlossen wurde. Die Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG) etwa will sich jetzt dafür einsetzen, daß sich weitere Unternehmen der vermittelten Kinderbetreuung anschließen. Das könnte auch einige männliche Vorgesetzte entlasten, wie das in einer Philips-Werkszeitung zitierte Beispiel eines Abteilungsleiters zeigt: „Da müssen unbedingt Hemmschwellen abgebaut werden. Als in unserer Abteilung eine Frau schwanger wurde, fühlte sich der Chef überrumpelt und ist ganz panisch zu den Kolleginnen gerannt und hat gefragt, ob sie etwa auch bald ein Kind bekommen würden...“, so der Bericht einer Mitarbeiterin. Ihre Forderung: Im Betrieb müsse offen über Familienplanung und Kinderunterbringung gesprochen werden.

Für die Eltern hat eine nicht-betriebsgebundene Betreuung den Vorteil, daß der Nachwuchs wohnortnah betreut werden und Kontakt zu Gleichaltrigen aus dem Wohngebiet aufnehmen kann. Darauf sind speziell die Beschäftigten des Beiersdorf-Werkes in Hausbruch angewiesen: Ein Großteil von ihnen pendelt jeden Morgen aus Niedersachsen zur Arbeit.

„Uneingeschränkt positiv“ urteilt die Leiterin des Sozialen Dienstes bei Beiersdorf, Dorothee Schroeder, über den Firmen-Service. 18 Kinder sind bisher in das neue Betreuungskonzept eingebunden. Dabei konnten alle Elternwünsche wie die nach spezieller Nahrung für Allergiekinder oder der Verzicht auf Schweinefleisch aus religiösen Gründen berücksichtigt werden. „Für viele Frauen erleichtert es den Wiedereinstieg nach dem Erziehungsurlaub“, so Dorothee Schroeder.

„Es spricht sich schnell rum“, meint Bettina Raabe vom „Zentralbereich Personal“ bei der Vereins- und Westbank. Innerhalb kürzester Zeit konnten vier Kinder versorgt werden, die keinen Kindergartenplatz hatten. Zehn Anfragen werden gerade bearbeitet. „Unsere Arbeit wird in Zukunft nicht eben leichter werden“, schätzt Anke Schulz-Henke vom „Familienservice“ und spielt auf die Sparmaßnahmen des Senats im Bereich der Kindertagesheime an.

Susanne Fink aus der Personalabteilung von Philips sieht die organisierte Kinderbetreuung als eine Ergänzung zu den innerbetrieblichen Bestrebungen für eine berufliche Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern. Bei Philips treffen sich regelmäßig alle Beschäftigten, die gerade den Erziehungsurlaub wahrnehmen, außerdem gibt es eine Job-Börse für diese Gruppe, in der speziell Urlaubsvertretungen vergeben werden. „Die Bäume wachsen dennoch nicht in den Himmel“, sagt Susanne Fink. In der nun sechsjährigen Laufzeit dieser Bemühungen hat sich der Anteil der weiblichen Beschäftigen im außertariflichen Bereich zwar verdoppelt, konkret heißt das freilich nicht mehr als von 1,7 auf 3,4 Prozent...