Wand und Boden
: Bronx in Weimar

■ Kunst in Berlin jetzt: Calle, Yong, Pollmann, Brauntuch, Landers

Das Ku'damm-Eck wird abgerissen, gegenüber von Wertheim stehen die Geschäfte leer, der West-City sieht man den Räumungsverkauf an. Ein wunderbarer Ort zum Ausstellen, besonders für Sophie Calle, die schon leere Denkmäler in Ostberlin unter dem Titel „Die Entfernung“ dokumentiert hat (s. taz, 26.11. 96). Mit ihrer neuen Installation hat sich Calle im Institut Français eingenistet. Die Folge aus 24 Alltagsobjekten und Bildlegenden beginnt in einem Schaufenster gleich hinter den „Picasso“-Auslagen des Cinema Paris und endet am Eingang von Sexyland. Dazwischen hat die französische Künstlerin passend eine Love-Story aufgefächert, die wie in einem Roman von Françoise Sagan gestrickt ist. Sophie lernt Greg 1990 in New York kennen, ein Jahr später steht er vor ihrer Pariser Haustür. Man lebt recht obsessiv zusammen, Pimmel werden begutachtend in die Hand genommen, Telefone gehen im Streit zu Bruch. 1992 folgt die Scheidung. Zwischen den filmreifen Beziehungswirren schimmern Abgründe der Künstlerinseele durch: Mal arbeitet Sophie als Stripperin, der eine Konkurrentin die Augen mit Pumps ausstechen will; mal ist sie Aktmodell für einen verklemmten Voyeur, der während der Session das Zeichenblatt mit Rasierklingen zerschlitzt. Das alles steht in knappen Sätzen auf Papptafeln, darunter liegen die Gegenstände, und doch fühlt man sich eher in ein Psychologieseminar versetzt. Die Fußgänger jedenfalls können mit den traumartigen Textsequenzen nicht viel anfangen, amüsieren sich aber über den Pinkeleimer aus orange Plastik.

Bis auf weiteres im Institut Français, Kurfürstendamm 211

Das Motto zum zehnten Jubiläum von „Schauplatz Museum“ knüpft sich die eigene Institutionalisierung vor – „Brot und Spiele“. Dagegen ist die Arbeit des eingeladenen Koreaners Yong Deok Lee ungeheuer feinfühlig ausgefallen. Zunächst muß man sich aber im Baustellengestrüpp der Wallstraße zurechtfinden, und die Graffiti im Treppenhaus des Schulmuseums erinnern an Filme über Kids in der Bronx. Yong Deok Lee interessiert sich nicht für das zeitgemäße Jugendbandenwesen Ost, für „Kl. K 7d. 24.10. 1920. Berlin“ hat er ein Klassenfoto der Weimarer Republik, das er vor zwei Jahren auf dem Flohmarkt fand, in einer Skulpturengruppe rekonstruiert. Die Gesichter sind ausgemergelt, die Blicke ängstlich, der Erste Weltkrieg lag erst zwei Jahre zurück: „Wie haben sich solche Umstände auf die Kinder ausgewirkt?“ Damit begann Yongs Recherche: Auf dem Foto sind zwar die Namen von 33 Knaben und ihrem Lehrer Heise aufgeführt, aber sonst ist über die Schule nichts bekannt. Entsprechend anonym stehen die Siebtkläßler als uniform gestaltete Terrakottafiguren im Raum, nur die Köpfe wurden individuell modelliert. Dem figurativen Ensemble ist eine ebenso streng rhythmisierte Wandarbeit in der Art Christian Boltanskis beigefügt, die einzelnen Portraits wurden auf Bücherrücken aus Holz geklebt. Die Ränder sind unterschiedlich ausgefranst – für Yong Deok Lee das einzige verläßliche Zeichen einer privaten Lebensgeschichte.

Bis 28.2., Di.–Fr. 9–17 Uhr; Wallstraße 32

Selbst im Cyberspace sind Marcel Duchamps „Roto-Reliefs“ faszinierend. Die simple Bewegung der Flächen übt eben eine starke Sogwirkung aus – kaum ein Techno-Video, das nicht mit Fahrten durch rasant sich drehende Röhren arbeitet, als wäre die Kamera im Darmtrakt unterwegs. Kein schlechter Ausgangspunkt für eine Computerkünstlerin mit abgeschlossenem Medizinstudium: Tynne Claudia Pollmanns Video „Non Stop Pausing“ zeigt eine Art Tunnelschacht in permanenter Bewegung. Das Motiv wächst auf Bildschirmgröße an, dann zieht es sich wieder auf einen winzigen Kringel zusammen. Irgendwann scheint der Monitor wie in Cronenbergs „Videodrome“ zu pulsieren. Das Ganze ist ein Wahrnehmungsproblem: Wieso verbinden sich die ständig wechselnden Bildimpulse suggestiv zu einem natürlichen Ablauf?

Auch die Arbeiten des 1954 geborenen Amerikaners Troy Brauntuch siedeln sich an einem blinden Fleck an: Auf schwarzer Baumwolle entstehen mit hauchdünner weißer Farbe Bilder kurz vor dem Verschwinden. Mitunter hat man das Gefühl, Negative zu betrachten. Dieser Unnahbarkeit sind die Motive wiederum entgegengesetzt; Brauntuch benutzt Zeitungsausschnitte von Unfallfotos. Dann steht man vor Sterbebetten oder einem längst vergessenen U-Bahn-Desaster in New York, deren Schockmoment weich in den Gemälden verlöscht – oder eben erst aufsteigt, wie ein Foto im Entwicklerbad.

Bis 8.2., Mi.–Fr. 15–19, Sa 12–19 Uhr, Galerie Rainer Borgemeister, Hackesche Höfe, Rosenthaler Platz 40/41

Es ist die Sturheit von Sean Landers, über die sich andere Maler aufregen. Statt am Polit- Diskurs mitzupinseln, zieht sich der Mittdreißiger aus New York auf konventionelle Genres wie Landschaftsmalerei zurück. Mannshohe Ölschinken mit dem Kilimandscharo im Hintergrund – kann das gutgehen?

Die konservative Attitüde hat bei Landers Methode. Von der Kunstzeitschrift artforum nach Pop-Trends 1996 befragt, antwortete er mit ein paar Zeilen aus „Fly like an eagle“ der Steve Miller Band und erklärte, das ihn neue Musik nicht interessiert. Auch mit seiner Rückkehr zu alten Meistern stellt sich Landers der unbedingten Aktualität entgegen, zugleich sind Hundeschlitten und Elefantenhorden Kalauer auf romantische Idyllen. In der Figur des Clowns spiegelt sich sein angriffslustiges Künstler-Ego wider, sonst bleibt Landers bei malerischen Problemen: Wie kommt die Welle ins Meer? Vermutlich durch viel Übung.

Bis 25.1., Di.–Sa. 12–18 Uhr, Contemporary Fine Arts, Sophienstraße 21 Harald Fricke