"Ein ökologischer Torso"

■ Umweltverbände kritisieren das Kreislaufwirtschaftsgesetz. Auch die Verbrennung von Sondermüll kann als Verwertung deklariert werden

Seit Oktober wird im Kreislauf gewirtschaftet. Zumindest steht dies auf dem Papier des Regelwerks zum Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW/AbfG). Dahinter steckt zum einen die Idee von sich schließenden Stoffkreisläufen nach dem Vorbild von Mutter Natur, zum anderen sind die Interessen der produzierenden, der verwertenden und entsorgenden Wirtschaft eingeflossen, die das Gesetz durch hartnäckige Lobbyarbeit mit dem Standorthammer zurechtgestutzt haben. Und zum dritten handelt es sich um einen Ansatz, der – entgegen dem Rio- Leitsatz des sustainable development, also „nachhaltiger Entwicklung“ – vor allem ein abfallrechtlicher ist.

Auf den ersten Blick erscheint das von Umweltminister Töpfer initiierte und von seiner Nachfolgerin Angela Merkel vollendete Werk als vorbildlich: Deutschland hat als weltweit erstes Land ein modernes Gesetz geschaffen, das der Werterhaltung Priorität vor der Abfallbeseitigung einräumt – ein Wegweiser für die „Umorientierung von der Wegwerfgesellschaft in eine Kreislaufwirtschaft“, lobt Merkel. Kernstück: Der Verursacher ist für seinen Müll verantwortlich. Darunter fallen nicht nur Abfälle, sondern auch die bei der Produktion entstehenden und noch verwertbaren Reststoffe.

Zur optimalen Ressourcennutzung wird vorgeschrieben, Abfälle in erster Linie zu vermeiden, in zweiter Linie zu verwerten und erst wenn dies nicht möglich ist, zu beseitigen. Schon der Hersteller soll, so der Wunsch Merkels, „vom Abfall her denken“, also Rohstoffe und Materialien schonen und Möglichkeiten der Wiederverwertbarkeit mit einbauen. Der deutschen Industrie verspricht die Umweltministerin Innovations- und Modernisierungsschub: Investition in die Entwicklung von Umwelttechnik soll die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen stärken.

Doch von vielen Seiten hagelt es Kritik. „Nichts als ein ökologischer Torso“ bleibe bei genauem Hinsehen, schimpft Jürgen Rochlitz, Müllexperte der Grünen. „Ein völlig unzureichendes Konzept“, urteilt der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Merkel habe „nur Fragmente von Umweltpolitik“ verwirklicht, meint die SPD- Umweltfachfrau Marion Caspers- Merck. Denn die begrüßenswerten Ansätze zur Kreislaufführung würden durch mangelnde gesetzliche Ausgestaltung gleich wieder zunichte gemacht. Vor allem habe es die Regierung trotz zweijähriger Atempause seit Gesetzesbeschluß verschlafen, die zur Umsetzung der Produktverantwortung notwendigen stoffbezogenen Verordnungen zu erlassen. Einzige Ausnahme ist die bereits seit 1991 bestehende und ebenso lange umstrittene Verpackungsverordnung.

Ob jedoch für die einzelnen Abfallarten wie Altbatterien, Bauschutt oder Elektronikschrott überhaupt noch verbindliche Regelungen kommen – nach Meinung von SPD und Grünen das einzig wirksame Instrument für Rücknahme und Wiederverwertung –, ist fraglich: Viel Druck von der FDP hat Merkel nämlich inzwischen dazu gebracht, Selbstverpflichtungen der Industrie als ökologisches Allheilmittel zu preisen. Für „einen Witz“ hält dagegen die Sprecherin von Caspers-Merck, Sabine Junge, die freiwillige Selbstverpflichtung der Automobilindustrie von Februar 1996: Umsonst wollen die Hersteller alle Autos zurücknehmen, die nicht älter als 12 Jahre sind. Voraussetzung: Sie sind regelmäßig in der Werkstatt gewartet worden. Alle anderen müssen am Ende gegen Gebühr auf den Autofriedhof – der letzte Besitzer zahlt. Mit solchen „Bürden“ mache die Automobilindustrie letztlich Profit, moniert SPD-Frau Caspers-Merck: Man sichere sich Mehreinnahmen im Bereich der Wartung, das wiederverwertbare Sahnehäubchen vom Autoschrott und neue Möglichkeiten für einen durchaus noch lukrativen Gebrauchtwagenhandel. Auf der anderen Seite steige die Gefahr „wilder Entsorgung“ wegen zu hoher Gebühren. Freiwillige Selbstverpflichtungen, so meinen SPD und Grüne, sind nichts anderes als „Vermeidungsplazebos“ (Rochlitz). Der Gesetzgeber enthebe sich so aller Möglichkeiten, Innovation und intelligente Produktion zu fördern und zu steuern.

Auch das zweite Gebot der Kreislaufwirtschaft, die möglichst hochwertige Verwertung, verhilft nach Meinung der Kritiker vor allem zu Etikettenschwindel: Der Verwertungsbegriff sei im Gesetz so schwammig formuliert, daß faktisch die Verbrennung von Sondermüll als Ersatzbrennstoff genauso als Verwertung deklariert werden könne wie eine Weiterverwendung von Teilen des Werkstoffes. Hier fehle, so Rochlitz, eine ökologisch sinnvolle Hierarchie. Auch der BUND hat den Verdacht, „daß in bestimmten Fällen die Einordnung von Verfahren als Verwertung oder aber Beseitigung sich ausschließlich nach den ökonomischen Vorteilen der Abfallbesitzer richtet“.

Die Verpackungsverordnung, bisher einziges Beispiel für die Umsetzung von Produktverantwortung, wird vom Umweltministerium als Vermeidungs- und Verwertungserfolg gepriesen. Kein Wunder, daß dieses Konstrukt derzeit von vielen Seiten auf seine ökologische und ökonomische Effizienz geprüft wird, um Zukunftsszenarien für die Kreislaufwirtschaft in anderen Bereichen zu zeichnen. Doch die Bilanz mehrerer Studien legt alles andere als nahe, die Verordnung und ihr ebenso privat- wie planwirtschaftliches Erfüllungsmodell, die Duales System Deutschland GmbH (DSD), als richtungweisend hinzustellen.

So kommt das Bochumer Institut für Innovative Entwicklung nach einer Langzeituntersuchung zu dem Schluß, durch die Verpackungsverordnung sei nur ein „marginaler Rückgang“ von Verpackungen erreicht worden; Experten der Friedrich-Ebert-Stiftung schätzen ihn auf lediglich ein bis drei Gewichtsprozent.

Auch der BUND bemängelt, Produktverantwortung und Verursacherprinzip seien nur ansatzweise auf Hersteller und Vertreiber umgelegt worden. Für problematisch hält man insbesondere die Möglichkeit, die Verursacherpflichten auf dritte, in diesem Falle also auf die DSD, zu übertragen. Eine durchschlagende Rückwirkung auf Produktion und Produktgestaltung werde so verhindert.

Als besorgniserregend wird auch der enorme Konzentrationsprozeß in der Abfallwirtschaft durch den Aufbau der DSD bewertet. Durch die Einführung dieses Monopols für die Rücknahme von Verpackungen sind innerhalb von drei Jahren über 420 kleine und mittlere Entsorgungsunternehmen vom Markt verschwunden, erklärt Caspers-Merck. So kann kein Wettbewerb der besten technischen Behandlungs- und Beseitigungsmethoden greifen. Statt dessen subventioniert jeder einzelne Bürger die DSD pauschal mit jährlich etwa 49 Mark, ohne über ihre Vorgehensweisen und Strukturen informiert zu werden oder den Verbleib seines Geldes kontrollieren zu können.

Als Folge der umfassenden Privatisierung werden sich, so wird befürchtet, einige wenige Entsorgungsmonopole etablieren, die den Abfallmarkt unter sich aufteilen. Die Kommunen werden zunehmend abfallwirtschaftliche Planungs- und Steuerungsmöglichkeiten verlieren, zudem können sie Verbleib oder Verwertung des Mülls nur noch durch nachgeschaltete Überwachung kontrollieren. Ob solche „Deregulierung“ dazu führt, daß in Zukunft bei der Beseitigung von Abfällen nicht mehr privatwirtschaftliche Effizienz, sondern Umweltverträglichkeit zum Maßstab wird, bleibt abzuwarten.

Eines verspricht aber nicht einmal Umweltministerin Angela Merkel: daß die Müllgebühren fallen werden und daß dem immer noch erstaunlich sammel- und sortierfleißigen Bürger in Zukunft offengelegt wird, ob die Früchte seines Bemühens im „Kreislauf“ oder in China landen. Sandra Reuse