Portrait
: Psychologie: Sechs

■ Roland Carlstedt führt in Melbourne eine Tennis-Psychoweltrangliste

Zu denen, die in Melbourne jeder kennt, gehört Roland Carlstedt sicher nicht. „Ich bin hier ein Außenseiter“, sagt der amerikanische Diplom-Psychologe über seine Rolle bei den Australian Open. Die Tatsache, daß er schon seit 1989 pro Jahr zehn bis fünfzehn Turniere besucht, hat diese Einschätzung eher noch bestärkt. „Hier sind einfach alle allwissend, da sind Verbesserungsvorschläge einfach nicht erwünscht.“

Dabei verrät doch schon die beliebte Standardfloskel vom Spiel, das „im Kopf entschieden“ werde, daß psychologische Stärke spielentscheidend ist. Um das zu veranschaulichen, veröffentlicht Carlstedt seit 1991 eine „Psychoweltrangliste“, die er aufgrund seiner Beobachtungen während der Turniere regelmäßig aktualisiert. Punktgleiche Spitzenreiter sind dort derzeit der ausgeschiedene Boris Becker und Pete Sampras vor Michael Chang, während Spieler wie Andre Agassi und Goran Ivanisevic (beide Nummer 32) nur unter ferner liefen rangieren.

Immer wieder vergleicht Carlstedt die Entwicklung der Spieler mit Werten der Vergangenheit in puncto Motivation, Lernfähigkeit, Selbstvertrauen oder Persönlichkeit. Doch die Hoffnung, daß er damit ein Umdenken bei den Beteiligten erreichen kann, ist klein: „Die Spieler sind egostark und überbezahlt. Von denen gibt doch keiner zu, daß er etwas besser machen könnte.“

Während sich Sportler mit hoher motorischer Beanspruchung in schlechter bezahlten Sportarten wie beim Skirennen oder Turmspringen längst den Luxus einer gezielten psychologischen Unterstützung leisten, hält er die Angst der schlecht ausgebildeten Trainer beim Tennis für das Haupthindernis: „Die meisten Coaches haben ein sehr armes psychologisches Grundwissen.“

Bei den Spielern sieht es nicht viel anders aus. „Wir haben bei einer Umfrage unter den Top 100 der Damen und Herren im Tennis gerade mal drei gefunden, die über ein Basiswissen in diesem Bereich verfügen“, sagt der Psychologe mit Wahlheimat Hamburg. Demnächst will er mit seinen Psychotricks für den Spitzensport promovieren.

Für Geheimniskrämerei hält er seine Methode indessen nicht. „In der Medizin ist es längst an der Tagesordnung, mit Hilfe des sogenannten Bio- Feedback zum Beispiel Bluthochdruckpatienten in die gewünschten körperlichen Aktivierungszustände zu versetzen.“ Das könnten auch Tennisspieler lernen, „genau wie ihre Rückhand“ (Carlstedt).

Doch noch ist keiner richtig neugierig darauf.

Erklärungen dafür findet man bei Trainern wie Wally Masur, ehemaliger australischer Weltklassespieler und seit kurzem Coach von Michael Stich: „Wer jahrelang selbst in der Tennisspitze war, der kann später auch Trainer sein, das ist gar kein Problem.“ Nach einer Probezeit hat ihn Stich eingestellt, und dieses Abhängigkeitsverhältnis mag nicht unbedingt dazu führen, daß Masur seinem Zögling unangenehme Wahrheiten verkaufen will.

In der Praxis hört sich das dann so an: „Michael ist jetzt 28, nicht 18, da kann ich sein Tennis nicht mehr verändern, sondern nur noch ein paar Ratschläge geben, das ist alles.“ So sprach Masur in Melbourne. Kurz darauf war Stich draußen.

Für Carlstedt kam Stichs Aus nicht überraschend: In seiner Psycho-Weltrangliste wird er nur an Nummer 67 geführt. Andreas Leimbach, Melbourne