■ Vor einem Jahr brannte das Lübecker Asylbewerberheim. Heute ist ausländerfeindliche Politik wieder angesagt
: Reines Gewissen, stille Ausgrenzung

Dieses Datum ist keines, das sich ins öffentliche Bewußtsein fräst: 18. Januar. Lübeck. Ein Jahr her? Tatsächlich? Schon? Das Datum löst kein verbindendes Gefühl aus, eher widerstreitende Emotionsfetzen, derer man sich kaum sicher ist. Beste Voraussetzung für Verdrängung. Man begeht nicht gern einen Jahrestag, von dem man nicht weiß, ob er wirklich mehr war als ein beklemmender Tag nach einer grauenvollen Nacht. Man tut sich schwer mit der medialen Eingruppierung einer Brandkatastrophe, die vielleicht ein ausländerfeindlicher Anschlag war, vielleicht aber auch ein „ganz normales“, tragisches Verbrechen, wie es täglich passiert. Man registriert – vielleicht ein wenig beschämt – wie sich auch die Anteilnahme für die Opfer daran bemißt, wer für ihren Tod verantwortlich ist.

Lübeck – das ist die Reduzierung einer Katastrophe auf die Frage: Wer war's? Aus Trauer und Nachdenken ist ein ideologischer Grabenkampf in den Medien und vor Gericht geworden. An dessen Ende wird sich jeder seine(n) eigenen Schuldigen basteln können, denn vor allem dank schlampiger Ermittlungsarbeit wird die Tat kaum noch aufklärbar sein. Schon jetzt hat der Grabenkampf einen klammheimlichen Sieger: die Politik, die sich auch ohne Klärung des genauen Tathintergrunds einen Freibrief ausgestellt hat.

Die Anschläge von Mölln und Solingen waren Anlaß, laut über das ausländerfeindliche Klima nachzudenken, das Zündler schafft, über Versäumnisse auch in der Ausländerpolitik. Nach Lübeck ist das genaue Gegenteil passiert: Durch den Verdächtigen Safwan Eid vom Vorwurf der geistigen Mittäterschaft entlastet, agiert die deutsche Politik, als wolle sie dem Vorwurf zumindest für die Zukunft gerecht werden. Im Jahr nach der Brandkatastrophe von Lübeck feierte ausländerfeindliche Stimmungsmache Hochkonjunktur, nicht plump, nicht brutal, sondern schleichend auf dem Verordnungsweg mit einer Kette von neuen Gesetzen, Beschlüssen und Medienkampagnen. Auch so kann man die Lunte für künftige Brände auslegen.

Nach Jahren der Schamfrist, der Lichterketten und internationalen Schelte kann man es sich wieder leisten, Ausländer zum nationalen Problem zu erklären. Das Strickmuster dafür ist aus der Asyldebatte bekannt: Man warnt das eigene Wahlvolk vor seiner eigenen Ausländerfeindlichkeit – und pflanzt sie durch beständige Warnung erst in die Köpfe. Man schafft Gesetze gegen das „Ausländer- Problem“, und macht es damit erst zu einem. Man sieht den sozialen Frieden in Gefahr – und erklärt der ausländischen Minderheit den Kalten Krieg.

Mit den immensen Sozialhilfekosten begründeten die Innenminister von Bund und Ländern Anfang des Jahres ihren Beschluß, daß die 300.000 bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge so schnell wie möglich zurückkehren müßten. Die Bevölkerung, sagte man der Bevölkerung, habe kein Verständnis für die hohen Ausgaben. Und damit die bis dahin sehr spendenfreudigen Bürger auch wissen, was sie bisher nicht gestört hat, rechneten die Politiker vor, was so ein Flüchtling heutzutage kostet.

Kriminelle Ausländerbanden dealen, rauben, zündeln, morden. Im Frühjahr war es, da der Bundesinnenminister die Deutschen so recht das Gruseln lehrte. Ein paar brennende Autobahnblockaden wurden vorgezeigt, undifferenzierte Kriminalstatistiken präsentiert. Ja, sollen sich „die Deutschen“ da noch auf Straße wagen, wo an jeder Ecke Russenmafia und PKK lauern? Ein neues Gesetz mußte her, um kriminellen Ausländern das Handwerk zu legen. Die Regierung schuf ein Gesetz, das vor allem die große Zahl der ausländischen Inländer trifft: Straffällig gewordene Jugendliche, auch wenn sie in Deutschland aufgewachsen sind, sollen nach Verbüßung ihrer Haft bedingungslos ausgewiesen werden. Statt Integration in die heimische Gesellschaft droht die Verbannung in eine fremde.

Integrationshilfen, Einbürgerungserleichterungen – das waren die Schlüsselworte, die nach Rostock und Hoyerswerda, nach Mölln und Solingen Abhilfe versprachen – wenn schon nicht gegen den rechten Spuk, dann jedenfalls gegen das schlechte Gewissen. In Zentimeterschritten deutete sich selbst bei der CDU Bewegung an. Wenigstens die Kinder der Einwanderer, die Angehörigen der dritten Migrantengeneration, sollten leichter Deutsche werden können. Das mißlungene Konstrukt „Kinderstaatszugehörigkeit“ wurde von der Regierungskoalition geschaffen und als nicht weitreichend genug selbst von Teilen der Union wieder verworfen. 1997, wenige Tage vor dem Jahrestag der Brandkatastrophe von Lübeck, billigt das Kabinett eine Durchführungsverordnung des Bundesinnenministers, die Meilen hinter diese Idee zurückfällt.

Solche Gesten der Ausgrenzung verletzen, egal ob sie purer Ignoranz entspringen oder als gezielte Schikane gedeutet werden müssen – so wie die nun beschlossene Visumspflicht für türkische Kinder. Sie trat – völlig überraschend – ausgerechnet kurz vor den Winterferien in der Türkei in Kraft, zu dem Zeitpunkt also, da Tausende von türkischen Kindern sich auf den Weg machen wollten zu ihren Eltern in Deutschland. Das nun benötigte Visum wird den Besuch jetzt vereiteln, das längst gebuchte Ticket verfällt.

Nicht nur antiquierte Integrationshemmnisse feiern Urstände, auch längst verstaubte Stammtischargumente erleben eine Renaissance. „Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg“ – jahrelang traute sich kaum ein ernstzunehmender Politiker diesen Satz zu sagen. Zigfach belegte Fakten hätten ihm das Gegenteil nachgewiesen und ihn der Lächerlichkeit preisgegeben. Heute adelt die CSU diesen Satz. Auf ihrer Klausurtagung in Wildbad Kreuth erhob sie ihn in den Rang eines arbeitsmarktpolitischen Diskussionspunktes. Und wenn die Ausländer uns schon nicht die Arbeit wegnehmen, weil's bekanntlich eh keine mehr gibt, dann nehmen sie uns eben die Arbeitslosigkeit weg – durch den Bezug von Arbeitslosenunterstützung. Keiner lacht über diesen Unsinn, weil jeder ahnt, daß das Bedürfnis, ihn zu glauben, in Zeiten von Rekordarbeitslosigkeit nur allzu groß ist.

So wird politisch gezündelt, ein Jahr nach einer Brandkatastrophe, von der man bis heute nicht weiß, wer damals das Streichholz hielt. Und so wird auch gezündelt in einem Jahr, das die Europäische Union zum „Europäischen Jahr gegen Rassismus“ ausgerufen hat. Die antirassistischen Aktivitäten von deutscher Seite koordiniert übrigens der Bundesinnenminister. Vera Gaserow