Teddy fürs Jahr 2000

■ Bill Clinton will in der zweiten Amtsperiode seinen Platz in der Geschichte sichern. Vorbild: Ted Roosevelt, Präsident zu Beginn des Jahrhunderts Von Andrea Böhm

Teddy fürs Jahr 2000

Im „Schlesinger Poll“ rangiert er in der Rubrik „Unterer Durchschnitt“. 32 Historiker haben eine Rangliste aller amerikanischen Präsidenten aufgestellt – und Bill Clinton liegt weit hinter den drei „Großen“ George Washington, Abraham Lincoln und Franklin D. Roosevelt.

Ist ja auch nicht fair, wird sich der Mann aus Arkansas denken. Die durften sich schließlich in Revolutionen, Unabhägigkeits-, Bürger- und Weltkriegen profilieren, während für ihn nicht einmal mehr ein kalter übrigblieb. Aber daß er gar noch hinter Konkurrenten wie Gerald Ford und George Bush gelandet ist, wurmt ihn garantiert – und spornt ihn an. Denn seine zweite und letzte Amtszeit, die am Montag mit der feierlichen Vereidigung beginnt, soll den Abstand zum Trio der „Großen“ gehörig verringern. In der Wahl seiner präsidialen Vorbilder so wankelmütig wie in politischen Auseinandersetzungen, orientiert sich Clinton derzeit an Theodore „Teddy“ Roosevelt, der von 1901 bis 1909 im Weißen Haus regierte. Wie Roosevelt die Autorität und Würde seines Amts nutzte, um das Land aus der Ära der Agrar- in die Industriegesellschaft zu führen, schreibt das Nachrichtenmagazin Time, so wolle Clinton als „nationaler Vereiniger“ die USA ins Zeitalter der Informationsgesellschaft leiten. Zu erwarten ist eine Wiederauflage der Strategie der letzten zwei Jahre: Kleine staatliche Initiativen, vor allem im Ausbildungsbereich, um sein Image als „Education President“ zu zementieren – gepaart mit einer Serie von moralischen Appellen gegen Gang-Kriminalität und Gewalt im Fernsehen und für mehr Gemeinschaftsgefühl.

Als unbegründet dürfte sich die Hoffnung einiger Linker in- und außerhalb der Demokratischen Partei erweisen, wonach sich Bill Clinton in den nächsten vier Jahren – frei vom Druck eines weiteren Wahlkampfs – doch noch als jener „Liberale“ entpuppt, als den sie ihn 1992 nach zwölf Jahren Reagan und Bush so euphorisch begrüßt hatten. Wobei mit dem Etikett „liberal“ in der politischen Landschaft der USA derzeit nicht mehr gemeint ist als eine Defensivstrategie gegen den herrschenden Anti-Etatismus und das Dogma der Defizitreduzierung um (fast) jeden Preis. Bereits ein Blick auf die Personalpolitik zeigt, daß Clinton sich in seiner zweiten Amtszeit fest in der „politischen Mitte“ verankern will, deren Position zweifellos von der politischen Rechten bestimmt wird. Mit Arbeitsminister Robert Reich, Städtebauminister Henry Cisneros, Stabschef Leon Panetta, seinem Stellvertreter Harold Ickes und Präsidentenberater George Stephanopoulos haben die prominentesten Vertreter des liberaleren Flügels Kabinett und Beraterstab verlassen. Sie hatten in den letzten vier Jahren Themen wie Lohnstagnation oder die urbanen Ghettos immer wieder in die Debatte brachten – oft zum Mißfallen der Wall-Street-Fraktion um Finanzminister Robert Rubin. „Wir werden es wohl mit der konservativsten Administration der Demokraten in diesem Jahrhundert zu tun haben“, prophezeite David Broder, Kommentator der Washington Post.

Davon abgesehen lassen die Mehrheitsverhältnisse im repulikanisch dominierten Kongreß wenig Spielraum zu. In zentralen Punkten wie der angeblichen Notwendigkeit eines ausgeglichenen Haushalts ist Clinton weitgehend auf den Kurs der Republikaner eingeschwenkt. Den ersten Streit mit möglicherweise einschneidenden Folgen wird es in der Frage geben, ob der US-Verfassung ein Zusatz beigefügt werden soll, der die Bundesregierung dazu verpflichtet, jährlich einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Dieses Mal hoffen die Republikaner, die nötige Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern des Kongresses zusammenzubekommen, um den Zusatz dann zur Ratifizierung an die Einzelstaaten weiterzuleiten. Die Clinton-Administration hält dagegen mit dem Argument, ein solcher Verfassungszusatz würde sich in einer Rezession verheerend auswirken, wenn staatliche Mehrausgaben zur Ankurbelung der Wirtschaft nötig sind.

Wie gut sich die Verhandlungsposition des Präsidenten in diesem und anderen Konflikten mit dem Parlament ausnehmen wird, hängt nicht zuletzt vom Verlauf der Clintonschen Dauerskandale ab: Die „Whitewater“-Immobilienaffäre, die anhängige Zivilklage der ehemaligen Staatsangestellten aus Arkansas, Paula Jones, gegen Bill Clinton wegen sexueller Belästigung [siehe untenstehenden Artikel] und die unlauteren Praktiken des demokratischen Wahlkampfteams bei der Spendenbeschaffung – frei nach dem Motto: „Geld stinkt nicht.“

Bleibt – gerade, wenn innenpolitisch keine Lorbeeren zu holen sind – immer noch die Außenpolitik. Eine neue, „kooperative Ära“ der Beziehungen zu China soll mit Gipfeltreffen in Washington und Peking eingeläutet werden; die Erweiterung der Nato steht auf dem Plan; Bosnien bleibt ebenso auf der Tagesordnung wie der Nahe Osten und Rußland nach Jelzin. Clintons wohl größtes und – zumindest aus der Sicht der amerikanischen Unternehmer – erfolgreichstes Projekt aber dürfte in der rapiden Vernetzung von Außen- und Handelspolitik bestehen. Um Kontroversen mit Gewerkschaften und Freihandelskritikern beider Parteien zu vermeiden, wird er möglichst außerhalb des öffentlichen Scheinwerferlichts in seiner zweiten Amtszeit fortsetzen, was er in der ersten begonnen hat: die Verankerung der USA in drei große Freihandelszonen – eine pazifische, eine atlantische und eine amerikanische. Das, so schreibt das linke Magazin Mother Jones, dürfte das gewichtigste Erbe Bill Clintons sein.