Die Vernichtung unserer Stars

■ Eine Moritat über den Musiker Jack Teagarden am Oldenburgischen Staatstheater

Allen Unkenrufen zum Trotz lebt die paradoxe Kunstgattung –Oper' auch in der zeitgenössischen Musik. Gerade die innovativen Komponisten, die sich viel Mühe um die Vermeidung des L'art pour l'art machen, tragen ihre gesellschaftliche und ästhetische Skepsis in Werken für Musiktheater aus. Unschwer zu prognostizieren, daß es sich bei der Uraufführung „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ von Helmut Lachenmann nächste Woche an der Hamburgischen Staatsoper, dem sicher wichtigsten Ereignis der Szene, um eine gesellschaftspolitische Parabel handeln wird.

Dies versucht auch – mit ganz anderen Mitteln als Lachenmann – der 1959 geborene Johannes Kalitzke mit seinem „Bericht über den Tod des Musikers Jack Tiergarten“, im Untertitel eine „szenische Moritat“, die jetzt am Oldenburgischen Staatstheater eine viel beachtete Premiere hatte. Jack Teagarden war einer der bedeutendsten weißen Posaunisten des Jazz, er spielte mehrere Jahre in dem berühmten Sextett von Louis Armstrong. Sein Erschöpfungstod 1965 ist sicher so zu deuten, wie es der Librettist Thomas Brasch – nach einer Vorlage von Boris Vian – getan hat: Der Musiker wird vollkommen ausgebeutet, stirbt an den Erwartungen der anderen und an den Gefühlen, die er nicht herauslassen darf. Seine geheimnisvolle Krankheit heißt „Schneebezeh“. Die theatralische Form von Brasch und Kalitzke ist in Brecht'schem Sinne episch, nutzt unterschiedliche ästhetische Formen wie das Melodram, die Pantomime, den Tanz, das Schauspiel und das Opernlied – letzteres in dem Augenblick, in dem das Innenleben der Hauptperson offengelegt wird.

Anke Hofmann, Operndramaturgin am Oldenburgischen Staatstheater, zeigt hier ihre erste Regiearbeit: Ein hohes Maß an Fantasie, Einfühlung, reflektierendem Verständnis und Bildeinfällen für die inneren Bedrängnisse und Nöte des sterbenden Musikers. Der Raum in der Fabrik Rosenstraße ist durch einen überdimensionalen Kopf durchteilt – Bühne von Angela Röhl – , dahinter sitzen die Musiker, und davor agieren die Personen: intensiv und stimmstark Ulrich Kratz als Jack Tiergarten, die ihm zu Diensten stehende Wirtin und der Kollege Flloyd Sylvester – glänzende Koloraturen von Steffi Sieber, zynisch Thomas de Vries als Arzt und der Minister.

Kalitzkes ausgesprochen expressive, überhitzte Musik ist grell, aggressiv, lyrisch, sie eröffnet – besonders auch durch die suggestive Interpretation unter der Leitung von Jürgen Weisser – ihrerseits viele Assoziationen für den Leidensprozeß des Jack Tiergarten: Stück und Aufführung sind sehenswert, weil die unmenschliche Erhöhung und Vernichtung unserer Stars als ein mahnendes Bild unserer Konsum- und Wegwerfgesellschaft gelten können: Sie geht immer und überall über Leichen.

Ute Schalz-Laurenze

Am 31.1., 18.2., 20.2. und 22.2. in der Fabrik in der Rosenstraße