■ Nachschlag
: Edith Clever inszenierte sich, Jutta Lampe und einen „Hausbesuch“

Clever oder Lampe – vielleicht das letzte Schisma, das die deutsche Theatergemeinde durchzieht. Eine Art theatrales Dogma, immer noch imstande, Essenseinladungen zu sprengen oder lange Freundschaften abrupt zu beenden. Stets verweisen die feindlichen Lager auf Peter Steins legendäre „Drei Schwestern“-Inszenierung, in der die beiden Schaubühnenikonen 1984 zwar gemeinsam spielten, dabei aber auf der Bühne völlig unterschiedliche Dinge taten. Die jeweilige Parteinahme sagt einiges aus über die psychologische Disposition des jeweiligen Bekenners. Jutta Lampe mag man als Ensembleschauspielerin schätzen oder bewundern, den Cleverschen Monologen lauscht man als Jünger. „Die Meisterin“ nannte sie einmal ehrfurchtsvoll ein Tramper, den ich gerne bei der nächsten Ausfahrt wieder abgesetzt hätte. Lampe oder Clever – Pathos des Nüchternen gegen Hohelied der Verklärung. Zum Lampe-Anhänger wird man, Cleverianer ist man irgendwie schon immer gewesen.

Jetzt gibt es sie im Doppelpack. In „Der Hausbesuch“ wird Jutta Lampe von Edith Clever inszeniert. Als Rosie Büdesheimer erzählt sie in der Bühnenfassung von Rolf Borchardts Novelle die Geschichte ihrer Ehe mit dem Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. Günter Büdesheimer. Der erweist sich nach der Heirat als armseliger Pedant und Besserwisser. Eines Tages kommt Freinsheim, der sympathische Jugendfreund des Ehemannes, zu Besuch, und alles stürzt zusammen. Rosie verbringt die Nacht mit ihm und verläßt ihren Mann.

Edith Clever spricht die kurze Einleitung zu diesem Text, dessen skurrile, teils geschraubte, sehr präzise Formulierungen sich gut vertragen mit ihrer überpointierten Sprechweise. In dieser Einleitung blitzt für einen Moment auf, wie die freiwillige und unfreiwillige Komik von Borchardts altertümlicher, aber glasklar analysierender Sprache zum Vorschein kommen könnte: mit einer Künstlichkeit und Stilisierung, die der überspannten Tirade eine Schrägheit verpassen würde, ohne die z.B. auch Thomas Bernhardts Geschraubtheit auf der Bühne scheitert. Doch die Clever ist, das flüstert schon die Säule auf der Bühne, fest zum weihevollen Ernst entschlossen. Also läßt sie Jutta Lampe ganz naturalistisch die Szenen ihrer Ehe spielen, läßt sie zwei Stunden jede Nuance, jeden Leidenswinkel der Novelle erkunden. Eine Unternehmung von akademischer Langeweile, die, als Lampe dann irgendwann auch noch zum Lesebuch greift, im Publikum zum kollektiven Dämmerzustand führt.

Dabei wird Jutta Lampe die Bühne keinen Augenblick überlassen. Edith bleibt im Hintergrund. Als stumme, schwarze Eminenz, als spinne Thekla ihrer eigenen Inszenierung. Ganz Marionettenmeisterin hält sie die Sprechende an unsichtbaren Fäden, wie ein Kind, das etwas falsch machen oder einfach wegrennen könnte. Die Schöpferin hat ihr Geschöpf unter Kontrolle, und wenn sie die Bühne einmal verläßt, dann bleibt um Lampe dieses unsichtbare Laufställchen, die Aura der anderen. Erdrückende Präsenz einer Übermutter, die um so besitzergreifender wird, je demonstrativer sie sich als dienende Requisitenverschieberin behauptet oder mit Nonchalance Zigarettenrauch in den Bühnenhimmel bläst. Jutta Lampe als sprechende Prothese der Meisterin – letztlich hat man das Gefühl, der Spiegelung eines Cleverschen Soloabends beizuwohnen.

Schließlich sinkt die Säule um, symbolisch, leise und erhaben. Rosie Büdesheimer sitzt auf einem Stuhl, mit dem Gesicht zum Publikum, erschöpft von ihrer ekstatischen Emanzipation. Clever öffnet eine Tür im Bühnenhintergrund. Sie führt in Freie, wo ein Taxi vorfährt. Steigt ein und ab. In den paar Momenten, die Lampe dann allein auf der Bühne steht, sich noch mal zum großen Pathos aufbäumt, muß auch der strengste Cleverianer Erleichterung empfinden. Denn jetzt, da das Argusauge endlich verschwunden ist, wird klar, was es eigentlich verzapft hat: einen Sturm im Wasserglas, einen Ausbruch unter Aufsicht. Eine Farce. Eigentlich kaum zu glauben, daß sie da wirklich zwei Stunden wortlos auf der Bühne rumgestanden hat. Katja Nicodemus

Weitere Aufführungen am 22. und 23.1., 20 Uhr, Schaubühne