■ Höhere Strafen bei Sexualtätern sind eine billige Ausrede
: Empörungsallerlei

Seit Tagen nur noch Eintopf: Verrührt werden sexueller Mißbrauch im häuslichen Umfeld, Konsumenten von Kinderpornos, Sextourismus und pädophile Mörder. Zugabe: härtere Strafen – Kopf ab, Schwanz ab. Fertig. Die Einheitssoße der Empörung, so wichtig sie für eine erste Sensibilisierung sein mag, wird den Problemen nicht gerecht. Pädophile Mörder lassen sich kaum von Strafen abschrecken, viele von ihnen haben diese Erfahrung als Wiederholungstäter längst gemacht. Ohne langfristige sozialtherapeutische Begleitung ist der Rückfall bei manchen Tätergruppen fast schon sicher. Strafen schaden, wo konsequente stationäre Behandlung nutzen kann.

Doch auch hier Einheitsbrei: In allen Bereichen der Therapie für psychisch kranke Straftäter wird gespart. Unterschiedlose Empörung wäre allerdings angebracht, wo zynische Kürzungen im sozialen Bereich gerade jene treffen, die auf Verunsicherung mit Gewalt reagieren. Doch Rufe nach Strafen kosten nichts, Gefängnisplätze sind allemal billiger als komplizierte Netzwerke, in denen Sexualstraftäter oft zeit ihres Lebens betreut werden müssen.

Zudem: Es macht einen wesentlichen Unterschied, ob jemand zu Hause Kinderpornos schaut oder ein Kind vergewaltigt. Und es ist etwas anderes, ob es Jahr für Jahr zu wenigen spektakulären Fällen kommt, die gierig von den Medien ausgeschlachtet werden, oder ob täglich in Hunderten von Familien Kinder mißbraucht werden. Jahrelang. Wo Einheitssoße unangemessen ist, gibt es dennoch Zusammenhänge: Die geradezu explodierende Menge kommerzieller Kinderpornographie, die kaum gebremste Welle von Sextourismus als spezieller Form von Rassismus erweckt den Eindruck scheinbar unbegrenzter Verfügbarkeit von Kindern. Grenzen scheinen aufgehoben, wo sich die unterbesetzte Justiz schwerfällig aufmacht, erste Urteile anzustreben. Das mag Hemmschwellen senken, ein allgemeines Klima der Beliebigkeit schaffen. Dem wird man mit Hysterie nicht gerecht.

Erwachsene, die sich Kindern sexuell nähern, leugnen die Inzest- und Generationenschranke; ihnen scheint alles möglich, alles gleich. Der öffentlichen Debatte würde es gut bekommen, wenn wenigstens sie jene Unterschiede und Differenzierungen vornähme, die den verschiedenen Gruppen sexuell Gestörter so wenig zur Verfügung stehen. Micha Hilgers

Der Autor arbeitet als Psychoanalytiker in Aachen