Geräusche, erwürfelt

■ Im Gespräch: Der Komponist Christoph Ogiermann, der morgen abend in der Hochschule für Künste sein „Experimentelles Konzert“ uraufführt

Seit Younghi Pagh-Paan 1994 den Lehrstuhl für Komposition an der Hochschule für Musik übernahm, macht das von ihr ins Leben gerufene „Atelier Neue Musik“ zunehmend von sich reden. Es werden namhafte auswärtige KomponistInnen eingeladen, studierende KomponistInnen stellen sich vor, es finden aber auch Interpretationskonzerte statt, zuletzt zwei Gedenkkonzerte zum zehnjährigen Todestag Morton Feldmans. Morgen gibt es wieder eine Uraufführung: „Experimentelles Konzert“ nennt HfK-Student Christoph Ogiermann seine Komposition, einen Abend mit Musik und Sprache, mit Texten von Hubert Fichte und Elias Canetti und dem Stück „19. Januar bis 28. September 1995“ für vierzehn InstrumentalistInnen und vier Souffleure.

taz: In Ihrem Stück läuft die Koordination der Musiker nicht über Takte, also die Verschränkung von Stimmen mit harmonischen Ergebnissen, sondern über die Angabe von Sekunden, in denen bestimmte Abschnitte gespielt werden müssen. Wie kam es zu dieser Konzeption?

Christoph Ogiermann: Es gibt zwei Voraussetzungen: Mich hat immer fasziniert, aus der Distanz eine Masse zu hören, den Geräuschpegel auf einem Platz. Das ist in sich sinnvoll, auch wenn kein einziges Geräusch etwas mit dem anderen zu tun hat. Dann habe ich in New York die Tanztruppe von Merce Cunningham gesehen: Da tanzen 15 TänzerInnen völlig unabhängig voneinander, und auf einmal heben sie, wie von Geisterhand geleitet, zur gleichen Zeit den Arm. Absolut irre.

Durch diese zeitlichen Abläufe erscheinen Sie selber mehr als Koordinator denn als Komponist. Gleichzeitig sind die einzelnen musikalischen Gestalten über die Interpretationsanweisungen mit einem hohen Maß an Expressivität ausgestattet.

Ja, das ist ein Widerspruch, den ich will. Einerseits soll alles alleine bestehen. Andererseits bin ich verantwortlich für das Ganze.

Welche Vorbilder stehen dahinter?

Natürlich vor allem John Cage. Von seinem Zufallsprinzip habe ich in meinem Stück auch die Idee umgesetzt, daß ich die Abfolge von Geräuschen und Gesten erwürfelt habe.

Warum hat Ihr Stück keinen Titel, sondern nur die Eckdaten eines Zeitabschnittes?

In dieser Zeit habe ich das Stück komponiert. Ich will keine Semantik vorgeben. Das Publikum soll selber hören, sehen, denken, fühlen.

Sie haben ein aufwendiges Instrumentarium für eine durchgehend leise Musik. Sind die Instrumente spezifisch und warum nur das Leise?

Das erste: Ich habe die Instrumente genommen, die ich zur Verfügung hatte. Dann aber sind sie nicht mehr ersetzbar, sondern im Gegenteil beziehen sich die winzigen Partikel genau auf das gewählte Instrument. Ich verwende viel Zeit darauf, Instrumente wirklich kennenzulernen. Und zum zweiten: Nur im Leisen erreiche ich einen Raum mit Tiefenwirkung, wie auf einem Platz aus der Distanz ...

Es gibt eine Lesung dazu: Hubert Fichtes „I. + J. – Der Platz der Gehängten“. Welche Bedeutung hat der Text , und wie ist er in Ihrer Musik präsent?

Abgesehen von der interessanten Form des Romans, die mir auch Impulse gegeben hat, geht es um einen Platz. Aber der Text soll nicht verstanden werden, er wird stumm gesprochen und Teile von ihm werden in Formanten in musikalische Gesten übertragen.

Formanten?

Ja, bei jedem Laut gibt es ein Spektrum von Frequenzen, sehr stark vertretene Felder nennt man Formanten, die bilden dann die Musik.

Die MusikerInnen haben sehr viele Gesten zu machen, fast theatralisch. Wie ist das Verhältnis?

Etwa gleich. Ich hatte die Grundvorstellung, daß es sich hier um einen Block handelt, der auch Klang, aber eben nicht nur, produziert.

Sie haben zunächst Kulturwissenschaften studiert, ehe Sie sich für Komposition entschlossen haben. Was kann denn Musik ausrichten?

Wir leben in einer Zeit großen Druckes, sie ist zum Ersticken konservativ. Die Musik kann da keinen Protest erheben, aber sie kann Denken nicht als Begriffe, sondern als Zustände verlebendigen. Sie kann etwas anderes als das Denken – ich nenne das die Erotik des Klanges.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

Morgen um 21 Uhr in der Hochschule für Künste, Dechanatstra-ße 11-13, im Kammermusik-saal.