Der Herr der Gitarren

■ Der Bremer Kneipentingler Oktay Kocamaz will mit sage und schreibe 562 Liedern im Programm eine Brücke zu Frauen bauen

Fangen wir damit an, was Oktay Kocamaz noch nicht gemacht hat: „Richtig Erfolg gehabt“, grinst der 45jährige Musiker, Schriftsteller, Wissenschaftler, Maler und Photograph, der seit 1977 in Form einer Ein-Mann-Show durch Bremer Kneipen tingelt.

Oktay hat 562 Lieder im Programm: Folkstandards, eigene Bluesstücke in englisch und türkisch, Folklore, Rock und was ihm sonst noch auf der Bühne einfällt. Bis zu sieben Stunden dauern dann solche Konzerte und sind dennoch kein Vergleich zum ersten Bühnenauftritt des Beatlesfans: Weil einer Lehrerin das Geld fehlte, um eine Physikbibliothek aufzubauen, stellten Oktay und zwei Brüder 1968 in Istanbul ihr Debüt-Konzert in den Dienst der guten Sache.

Zusammen mit 400 kreischenden Jugendlichen verwandelten die drei die Aula in ein Schlachtfeld, weil der Kartenvorverkauf in der Mädchenschule nebenan ohne Rücksicht auf die Hallenkapazitäten vorangetrieben worden war. Egal – die Konzerteinnahmen reichten für Bibliothek und Schäden. Kocamaz: „Wir waren wie Helden.“ Seither sind ihm solche rauschenden Erfolge nicht mehr vergönnt gewesen. Kocamaz, der Straßenmusiker, finanzierte bestenfalls seinen Schallplattenbedarf mit dem Musizieren.

Weil ihm das Militär im Nacken saß, landete der studierte Wirtschaftswissenschaftler 1977 in Bremen. Hier fand er zwar Zeit, drei Alben aufzunehmen. Doch das letzte, „El Ele“ (Hand in Hand) bereitete ihm 1995 einigen Kummer, denn Kocamaz hatte unter anderem auch ein armenisches Volkslied, das „Schwarzmeerlied“, aufgenommen. Das aber benutzten die türkischen Faschisten, mit denen er keinerlei Verbindung hat, als Hymne. Grund genug für einige türkische Kneipenbesitzer, Kocamaz die Tür zu weisen.

Der Titel eines anderen Albums – „No Money, No Honey“ – erklärt dagegen, woran es dem Tausendsassa eigentlich mangelt. „Musik, Literatur, Malerei, das war immer der Versuch, eine Brücke zwischen mir und den Frauen zu bauen. Ich dachte immer, du mußt was bieten, noch besser werden.“

Das erklärt, warum Kocamaz Freizeitstreß mit zunehmender Lebensdauer exponentiell anstieg, die einzelnen Projekte aber stetig unter mangelhafter Umsetzung litten. Nach dem Wehrdienst, um den er dann doch nicht herum kam, versuchte sich der vom Militär gestählte Kocamaz als Biathlet und Schwimmer. Daneben hat er Foto- und Bilder-Ausstellungen auf die Beine gestellt. Seine surrealen Kurzgeschichten interessierten den Diogenes-Verlag – bis klar wurde, daß er das Bändchen wohl nie fertig bekommen würde. Für ihn ist das Schicksal: „Widder verzetteln sich oft.“

Und dickköpfig sind sie auch. Als Anfang der Achtziger ein Manager den Straßenmusiker groß raus bringen wollte, scheiterte die Karriere an der Frage, wer bei den Studioaufnahmen Gitarre spielen darf – Oktay oder irgendein Studioprofi. „Heute bereue ich das“, sagt Kocamaz, der nun Nescafe mit Kaffeeweißer trinken muß, weil er in seinem winzigen Souterrain-Zimmer keinen Platz für einen Kühlschrank hat. Immerhin: Kocamaz ist Herr über 16 Gitarren und mußte dank einiger Honorarstellen und der Kneipenkonzerte noch nie richtig körperlich arbeiten. Auch wenn er mehr Lebens- als bildender Künstler ist, sagt er von sich: „Ich habe jeden Tag mein Leben gelebt wie ich es wollte.“ Und das muß ihm erstmal einer nachmachen.

Lars Reppesgaard

Oktay Kocamaz tritt heute um 21 Uhr im Moments sowie am 24.1. um 21 Uhr im Hegarty's auf.