Teufelsdreck in zweihundert Aktenordnern

■ Ein Lehrer wollte über Aberglauben aufklären und schuf das Hamburger Hexenarchiv

Vergiß Aspirin. Kein Kopf so dröhnend, daß eine Hexe ihn nicht klarzaubern könnte, keine Grippe so fies, daß ein Schamane sie nicht wegschröpfen wollte. Im Hexenarchiv des Hamburgischen Museums für Völkerkunde stapeln sich die Aktenordner mit Zeitungsartikeln über Zauberei aller Art. Schlagzeilen schicken Satanisten zum Teufel, geißeln Wahrsagerinnen und schüren die Angst vor kindergrillenden Hexen. Dabei machen Besenritte, geschulterte Raben und Pickel auf der Hakennase noch keine Hexe. Im Gegenteil, oft braucht es dafür weniger – zum Beispiel eine verwunschene Kuh.

So machte in den 50er Jahren ein Hamburger Bauer seine Nachbarin dafür verantwortlich, daß die Hofkuh wenig Milch gab. Nachdem der Mann den Stall des unkooperativen Rindviechs mit Teufelsdreck, einem Harz aus Gummibäumen, ausgeräuchert hatte, waren seine Probleme gelöst; die der Nachbarin begannen erst. Sie behielt lebenslang den Ruf einer Hexe und wurde von den Dorfbewohnern gemieden.

Ein ähnliches Erlebnis brachte den Lehrer Johann Kruse Anfang des Jahrhunderts dazu, das Hexenarchiv zu gründen. Der Bauernsohn wollte verfolgten Frauen helfen, begleitete sie zu Prozessen und erforschte die Geschichte des Hexenglaubens in verschiedenen Kulturen. Mehr als 200 Aktenordner hatte Kruse gefüllt, als er 1983 starb. Das Museum für Völkerkunde erbte seine umfangreiche Artikel- und Zeitschriftensammlung und präsentiert in seinem Hexenarchiv nun ein Bild vom Aberglauben, das wenig wissenschaftlich ist, dafür aber authentisch ob der persönlichen Berichte. Da ist beispielsweise die Hamburgerin, die 1926 ihre Tochter von der Nachbarin verzaubert glaubte – und schnurstracks zu einem Magier rannte, auf daß der dagegen hexe. Aberglaube war nicht nur bei Arbeitern und Bauern verbreitet. An der Hamburger Uni zündeten Studierende noch 1951 Kräuter an, um „Abgunst und Neid“ wegzuräuchern.

Auch wenn die letzte Hexenverbrennung in Deutschland 200 Jahre her ist: Verschwunden ist die Angst vorm Übersinnlichen nicht. „Besonders auf dem Land leiden immer noch Frauen darunter, daß sie als Hexe verschrien sind“, weiß Archiv-Leiterin Maren Tomforde. Für andere ist das Wort „Hexe“ inzwischen ein Kompliment. Seit den 70er Jahren gibt es die sogenannten neuen Hexen, die sich mit Riten und Übersinnlichem gegen das Patriarchat wehren wollen.

Daß 20 Prozent der angeblichen Hexen Männer waren, und daß die genauso verfolgt und verbrannt wurden wie ihre Kolleginnen, weiß kaum jemand. Ob aus Angst oder aus Neugier: Das Interesse am Archiv ist groß. Lehrer fragen nach Material für ihren Unterricht, Studenten recherchieren für Seminare. Frauen, die Warzen ihrer Enkel per Besprechen vergrault haben, suchen nach Texten über heilende Magie. Nur selten wird das Archiv als Hexenbekämpfungsstelle mißverstanden – wie von einer Frau, die per Post ein Foto ihrer Nachbarin schickte. Sie wollte wissen, ob es eine Hexe sei. Judith Weber