„Oh, Schrecken!“

■ Mit „Jekyll & Hyde“ droht den Bremern ein balladen-süßes „Grusical“ / Gute Chancen für Broadway-Erfolg

„Schrecken. Zügellose Niedertracht. Plötzlich Balladen. Stroboskoplicht. Folter. Pyrotechnische Effekte. Überwältigende Schuld. Mord. Ein bißchen Sex. Spezialeffekte. Blut. Wieder Balladen. Oh, Schrecken.“

Mit dieser pfundsschweren Einleitung berichtete Peter Haugen, Theaterkritiker des Sacramento Bee, Ende August 1995 über die Aufführung eines Musicals, dessen Melodien ab Ende nächsten Jahres auch in Bremen in aller Ohr sein sollen. Denn der kalifornische Rezensent sah eine Voraufführung von Frank Wildhorns und Leslie Bricusses offiziell als gothic musical thriller annonciertem Schauerstück „Jekyll & Hyde“, das ein Konsortium von Bremer Musical-Planern für das Showpark-Gebäude am Richtweg importieren will. In der Sache geben sich die Verantwortlichen schon seit Monaten auffällig zurückhaltend. Doch wie der Musical-Produzent und Besitzer der Jekyll-Lizenz für Deutschland, Frank Buecheler, gegenüber der taz erklärte, laufen die Vorbereitungen gleichwohl auf Hochtouren: „Alle Verträge sind unterschrieben“, sagte er am Montag.

Von Buechelers Verhandlungspartnern in der Wirtschaftsbehörde und in der Hanseatischen Veranstaltungsgesellschaft (HVG) abgesehen, wird das Projekt in Bremen bekanntermaßen skeptisch beäugt. Ganz anders in den USA, wo mit der Professionalität der Entertainment-Industrie am Erfolg des Stückes gestrickt wird. Nicht nur der besagte Kalifornier Peter Haugen fand nach Besichtigung der Voraufführung ein Urteil irgendwo zwischen wohlwollend, positiv und begeistert. Neben weiteren KritikerInnen ließen sich in Houston, Seattle oder Costa Mesa bei Los Angeles so viele ZuschauerInnen anlocken, daß die Kosten eingespielt und ein Überschuß erwirtschaftet wurde, um die für den 28. April 1997 angesetzte Premiere der vor allem im zweiten Teil stark veränderten Broadway-Produktion zu finanzieren. Mehr noch: Einige der Songs des Filmmusik- und Rocktitel-Komponisten Frank Wildhorn wurden schon durch diese Aufführungen zu Hits (gemacht), und in Listen mit allen in Nordamerika aufgeführten oder geplanten Musicals, die sich im Internet aufstöbern lassen, rangiert „Jeckyll & Hyde“ überraschend weit oben.

Kein schlechtes Vorspiel also für die so ehrgeizigen wie beargwohnten Bremer Pläne, auch noch auf den Musical-Zug aufzuspringen. Vorsichtig euphorisch gab sich Frank Buecheler, als er zu Wochenbeginn in Bremen war, um seine Unterschriften unter das scheinbar uferlose Kontraktwerk seiner „Neuen Metropol“ mit der Stadt Bremen und dem Frankfurter Eigentümer der Immobilie zu setzen. Daß dieser Vollzug noch nicht hinausposaunt und noch nicht zu einem symbolischen Fototermin eingeladen wurde, begründet Buecheler erstens mit Vorsicht und zweitens mit noch nicht ausgeräumten Restrisiken. Allen voran: Die Möglichkeit, daß die Broadway-Premiere floppt. Doch nach dem Echo auf die Voraufführungen zu urteilen, droht dieses Schicksal der neuen Webber-Produktion weit eher – „Jekyll & Hyde“ wäre in der laufenden Broadway-Saison konkurrzenzlos. Wie auch immer: Nach dem Lizenzvertrag kann Buecheler die Produktion übernehmen oder aber komplett überarbeiten lassen. „Und wenn alles nichts hilft, müssen sich die Bremer halt an einen neuen Titel gewöhnen.“

Doch bleiben wir zunächst bei „Jekyll & Hyde“. Die Forscher- und Dreieckstragödie basiert auf der gleichnamigen Vorlage von Robert Louis Stevenson und wurde um familienpsychologische Bezüge und deutlich mehr Herzschmerz erweitert. Stück und Musik des Komponisten Frank Wildhorn werden nicht ohne Grund in die Nähe von Webbers „Phantom der Oper“ gerückt: Symphonisches und viel Streichersüßes ist auf der CD zu hören; dazu gesellen sich Balladen mit der Tendenz zur Eingängigkeit und viel Oh god, save me-Prosa. In der New Yorker Inszenierung wird dem Vernehmen nach eine ins Abstrakte gehende Ausstattung das Bühnenzentrum umrunden, in dem das Personal in historisierenden Kostümen das Geschehen dem tragischen Ende zuführt.

Ob die Einstudierung so nach Bremen importiert wird, will Frank Buecheler erst nach Ansicht entscheiden. Bis dahin muß der Produzent mit dem Vertragswerk in der Tasche bei „seinen“ Investoren sammeln gehen, zu denen sich neue amerikanische Interessenten gesellt haben sollen. Wann die Baumaschinen im Ex-Showpark anrücken, vermochte Buecheler trotz geleisteter Unterschriften auch am Montag noch nicht zu sagen. Beim Premerierentermin Herbst '98 solle es indes auf jeden Fall bleiben. ck