„Rechte wissen, daß die Leute ähnlich denken“

■ Für Josef Held, Psychologe am Institut für Erziehungswissenschaft der Uni Tübingen, steht die Gewaltbereitschaft in direktem Zusammenhang mit einer rassistischen Orientierung

taz: Herr Held, Gewalt von rechts wird nicht weniger. Vor Gericht schämen sich weder Täter noch Zeugen dafür. Und auch in den Dörfern und Städten ist von Betroffenheit oder gar Mitleid mit den Opfern keine Spur.

Josef Held: Von allen Werten, die eine Gesellschaft hat, steht derzeit nur ein einziger hoch im Kurs: die Frage nach dem ökonomischen Nutzen. Er hat die humanen Werte in den Hintergrund gedrängt. Das erklärt, warum nicht nur Ausländer, sondern auch Behinderte und Obdachlose angegriffen werden. Es wird nur noch unterschieden: Nützt jemand mir oder meiner Gruppe, oder nützt er mir nicht? Wenn nicht, hat er hier nichts zu suchen. Hinzu kommt das nationale Element. Wenn jemand uns Deutschen nichts nützt, hat er hier nichts verloren.

Die Schläger begreifen sich vielleicht als Vollstrecker einer diffusen „Volksmeinung“. Aber warum wenden sich die Menschen aus ihrer Umgebung nach einer Tat nicht von ihnen ab?

Weil sie es zuvor schon nicht getan haben. Man weiß lange vor einer Tat, wem im Dorf man soviel Aggressivität zutrauen kann. Man kennt sich ja untereinander. Und sicherlich ist bei der Bevölkerung auch eine gewisse Angst vor dem martialischen Auftreten der Jugendlichen da. Man hat Angst, selbst angegriffen zu werden.

Angst verhindert Scham?

Nach unseren Untersuchungen kommt noch etwas anderes hinzu. Diese Rechten bringen ja keine Fundamentalopposition zum Ausdruck. Sie wissen, daß die Leute in ihrer unmittelbaren Umgebung ähnlich denken wie sie selbst. Wenn Sie sich in den Dörfern die Wahlergebnisse anschauen, finden Sie häufig Korrespondenzen mit dem politischen Weltbild der Jugendlichen. Neben der Angst handelt es sich auch um ein stilles Einverständnis.

Das erklärt nicht, warum man nicht spontan bestürzt reagiert, wenn Menschen ermordet oder zu Krüppeln geschlagen werden.

Oft wird das Desinteresse an den Opfern pathologisiert. Man sagt: Das ist eine Verrohung unter den Jugendlichen. Ich glaube aber, daß die persönlichen Beziehungen allgemein an Bedeutung verloren haben. Man handelt nicht aus Werteprinzipien, die für den mitmenschlichen Bereich existieren, sondern aufgrund von abstrakteren Prinzipien: Leistung etwa, Nation oder Rasse.

In der Anonymität der Städte mag das so sein. Warum aber wenden sich 200 Dorfbewohner, die sich doch alle kennen, kollektiv von den Opfern ab?

Weil die Opfer nicht aus dem eigenen Umfeld stammen. Man kümmert sich in Zeiten der wirtschaftlichen Krise vor allem um diejenigen, die zum Kollektiv dazugehören.

Welche Chancen räumen Sie den sogenannten „Runden Tischen“ zum Thema Gewalt ein, wenn Politiker sie veranstalten?

Keine großen. Politiker haben heute doch das Image, nur wirtschaftliche Eckdaten zu regulieren, und zwar auf Kosten derjenigen, denen es wirtschaftlich nicht gutgeht. Diese Art von Politik setzt die Rahmenbedinungen auch für das individuelle oder kollektive Verhalten in den Dörfern und Städten. In einem solchen Klima kann sich kein allgemeines Gefühl von Solidarität gegenüber den Opfern einstellen oder gar eine Verantwortlichkeit für den nächsten.

Was also tun?

Wenn irgend etwas passiert ist, darf man nicht als Interventionstruppe auftreten, die von außen kommt, um einen Mißstand abzustellen. Wir haben gerade bei Jugendlichen gute Erfahrungen gemacht, wenn wir als Interessierte kamen, uns erzählen ließen, was passiert war. Man muß häufiger hingehen und den Leuten die Möglichkeit geben, lang und ausführlich miteinander zu reden. Man darf nicht kommen und sie von irgend etwas abhalten wollen. Man muß sie sehr, sehr ernst nehmen. Sie müssen merken, daß sie mit ihren einfachen Sprüchen und Erklärungen nicht weiterkommen. Interview: Annette Rogalla