■ Was nach der deutsch-tschechischen Deklaration kommt
: Jenseits des Chauvinismus

Wir haben die deutsch-tschechische Erklärung, Frau Müllerová, könnte heute Schwejk sagen – und sein Autor hätte dazu ein Buch mit komischen Geschichten über deutsch-tschechische Mißverständnisse schreiben können. Aber dafür ist heute kein Platz. Also nur kurz: Die lange umkämpfte deutsch- tschechische Erklärung hat keine Rechtsverbindlichkeit – es steht sogar drin, daß man die jeweils eigenen Rechtsvorstellungen weiter pflegen wird. Aber sie ist dennoch notwendig. Obwohl der Inhalt nicht in jeder Hinsicht der Weisheit letzter Schluß ist, hätte ein Scheitern nach so langem Anlauf bittere Folgen gehabt. Doch wenn man daran monatelang schuftete, muß auch was Wichtiges dabei sein. Tatsächlich ist es ist auch sehr wichtig, den Status quo festzuhalten, aber die Zukunftsvorstellungen sind reichlich nebulös.

Wichtig (aber nicht enthalten) ist, daß die nächste Generation beider Seiten die Chauvinismen der Eltern hinwegfegen wird. Die Kinder suchen immer einen Grund, um zu rebellieren. Und dort, wo etwas unter den Teppich gekehrt wird, finden es die Kinder auch dann, wenn die Eltern schon nichts mehr davon wissen. Die Eltern sind dann überrascht, ja, stets in der Geschichte waren sie überrascht, und die Entwicklung gewinnt an Dynamik.

In Westdeutschland kennt man diesen Prozeß, in Tschechien läuft der Countdown. Eine Generationszeit beträgt 20 Jahre, sieben sind schon vorbei.

Wichtig ist auch, zu merken, daß die eigentliche Arbeit nicht in der Abfassung einer Erklärung liegen kann. In der Diplomatie muß man raffiniert sein (manchmal auch diplomatisch), aber die eigentliche Leistung muß erst kommen. Am Ende dieser Arbeit sollte Prag nicht die Stadt sein, in der sich deutsche Abiturienten billig besaufen und feinsinnige Intellektuelle ihren Kafka-Träumen folgen (weil sie zur tschechischen Literatur keinen Zugang haben). Und für Tschechen sollte Berlin keine häßliche Stadt im Flachland sein, zu der einem nichts einfällt. Und München muß mehr sein als nur ein Symbol des gleichnamigen Abkommens (Diktats!) und riesiger Bierportionen. Wenn Tschechen so weit sind, daß sie nicht nur „angelsächsisch“ sein wollen und Deutschland, den nächsten Nachbarn, am liebsten überspringen möchten, und die Deutschen nicht altväterlich nach Tschechien – „ehemals ohnehin Deutschland“ – schauen, ja, dann wird es in Ordnung sein. So weit kommen jedoch die Unterzeichner der Deklaration wahrscheinlich nicht. Jaroslav Šonka

Studienleiter an der Europäischen Akademie Berlin