Vertreibung mit Weckern

Die Grundig-Belegschaft hat ihren Chef vor die Tür gesetzt. Die Schuld an der Misere des Konzerns wird allein bei Philips gesehen  ■ Von Claudia Rödel

„Nürnberg: trüb und neblig.“ Der Wetterbericht im Radio paßt genau zur Stimmungslage im Nürnberg-Fürther Elektrounternehmen Grundig. Nach dem Schichtwechsel um 14 Uhr stehen Arbeiter und Angestellte an der Bushaltestelle vor dem Werkstor im Industriegebiet Langwasser. Still warten sie. Und nicht nur der Nieselregen läßt die Mitarbeiter eng zusammenrücken.

Die Angst um den Arbeitsplatz ist bei allen, die in dem fränkischen Traditionsunternehmen zum Teil seit Jahrzehnten schaffen, stets präsent. Ein Hoffnungsträger war Philips gewesen, als der Elektronikkonzern 1984 die Führung übernahm. Doch die Niederländer entpuppten sich als „Fliegender Holländer“, der Grundig nur noch weiter in den Nebel zog.

„Wir von der Belegschaft haben doch das menschenmögliche getan, um das Steuer herumzureißen. Wir haben Überstunden gefahren – und nichts ist passiert.“ Die Betriebsrätin Ingrid Thurhahn ist enttäuscht. Seit neun Jahren ist sie bei Grundig. Doch das Engagement der Belegschaft änderte nichts daran, daß Grundig 1995 einen Umsatzverlust von fast 600 Millionen Mark verbuchte. Ein Minusrekord. Insider rechnen auch für das vergangene Geschäftsjahr mit einem Verlust von 300 Millionen.

„Die Arbeiter hier in Nürnberg waren immer hoch motiviert und haben nie krankgefeiert“, sagt Norbert Bartsch. Doch jetzt ist die Motivation beim Nullpunkt angelangt. Bartsch ist sich sicher: „Zum Jahresende ist es bei Grundig zappenduster.“ Schon mehrere Bewerbungen hat Norbert Bartsch geschrieben, um nicht auf der Straße zu stehen, falls Grundig die Werkstore schließen muß. Etwas verloren steht auch Bernd Dörer an der Haltestelle vor dem Werkstor. Für ihn ist die Lage völlig undurchsichtig. Im Mai beendet er seine Lehre als Industriekaufmann und wird laut Vertrag noch sechs Monate weiterbeschäftigt. Und dann? Hilflos zuckt er mit den Achseln: „Keine Ahnung. Dreimal habe ich mich schon intern beworben, und immer muß ich hören, daß die Stellen nicht wieder besetzt werden. Meine Freunde fragen schon ganz selbstverständlich: Du lernst bei Grundig, wo arbeitest du denn danach?“

Einstimmigkeit herrscht bei allen, die an diesem trüben Wintertag am Bushäuschen stehen: Schuld an der Misere ist allein Philips und der Grundig-Vorstandsvorsitzende Pieter van der Wal, ein Philipsmann. Der Konzern aus Eindhoven behandle Grundig wie ein Rennpferd, dem man immer auf die Knie schlage. Kaum habe es sich aufgerappelt, bekomme es den nächsten Schlag. Gitta Hochhäuser arbeitet seit 33 Jahren bei Grundig – über die Hälfte ihres Lebens. Sie verbirgt ihre Wut über den „Killerwal“, wie die Belegschaft ihren bisherigen Chef inzwischen nennt, nicht. Der hatte zwar in den letzten Wochen signalisiert, auch weiterhin in Franken bleiben zu wollen. Für die Mitarbeiter und die Gewerkschaft war aber klar: van der Wal muß weg. Dieter Appelt, Betriebsratsvorsitzender sieht van der Wal nur als einen Handlanger der Führung in Holland, deren einziges Ziel darin bestand, einen Konkurrenten auszuschalten. Und so haben auch fast alle hier an der Haltestelle die Unterschriftenliste unterzeichnet, die in den vergangenen zwei Wochen von Werkbank zu Werkbank und Schreibtisch zu Schreibtisch gereicht wurde: Pieter van der Wal soll Grundig verlassen, das Werk muß „Philips-freie Zone“ werden.

Die Wut über die Niederländer trieb die Grundig-Belegschaft letzten Freitag vor die Werkstore. Kurz vor Mittag postierten sich viele vor ihrem Betrieb und ließen Hunderte von Weckern klingeln – genau um fünf Minuten vor zwölf. Auch Anita Wagner, seit 1958 bei der Grundig, hielt einen Krachmacher in der Hand. Wie viele andere fühlt sie sich dem Betrieb persönlich verbunden und will einfach nicht hinnehmen, daß ein fremdes Unternehmen ihren Arbeitgeber in den Bankrott treibt. Von den Händlern höre sie unterstützende Worte. „Eure Produkte sind in Ordnung. Macht Grundig allein“, würden sie raten. Als Gewerkschafter das große weiße Plakat mit der Aufschrift „Philips-freie Zone“ unter dem blauen Schriftzug „Grundig“ am Werktor hochziehen, ruft Anita Wagner begeistert: „Bravo! Philips muß raus!!“

Ein Ziel hat die Belegschaft inzwischen erreicht: Der Vorstandsvorsitzende Pieter van der Wal verläßt in zwei Monaten den Konzern, genau wie der Finanzvorstand Karl Heinz Wieland. Der geht schon zum 1. Februar. Ohne die Mannen aus Holland hat der Konzern eine gute Chance, weiter zu bestehen, glauben viele. Schließlich meldet auch der Wetterbericht: „Es soll besser werden.“