Eine ewig verschleppte Jugend

■ In Trees Lounge steht Steve Buscemi vor und hinter der Kamera

Tagsüber schiebt Tommy sein Auto von einer Werkstatt zur anderen, weil er einen Job sucht. Aber wer stellt schon einen Mechaniker ein, der nicht mal sein eigenes Auto reparieren kann. Nachts steht der 31jährige am Tresen der Trees Lounge und versucht, reichlich abgefüllte Frauen noch ein bißchen mehr abzufüllen und mit mäßig originellen Wetten rumzukriegen. Meistens liegt er dann doch irgendwann allein bäuchlings im Séparée, und die einzige Zärtlichkeit besteht in ein paar Tritten der Kellnerin.

Steve Buscemi ist Tommy, oder besser: Tommy ist Steve Buscemi. Die Charakterfresse des amerikanischen Independent-Kinos stand bei diesem Barfliegen-Soziogramm aus einem Vorort von New York nicht nur vor der Kamera, sondern erstmals auch dahinter. Und ein bißchen ist die Geschichte von Tommy, der am Ende sein derangiertes Dasein neu zu ordnen beginnt, auch die seine. Denn auch er wuchs in einem Vorort auf, wo noch die magische Melodie Manhattans nachhallt und es so trister wirkt als in der tiefsten Provinz.

Trees Lounge ist das Initiationsepos eines Menschen, der seine Jugend verschleppt wie andere ihre Grippe, der ungesund lebt, weil er Entscheidungen gern aufschiebt. Wer Entwicklungsromane in kargem authentischen Kolorit schätzt, liegt bei Buscemis Regiedebüt richtig. Der Film reiht in stillem Rhythmus die sinnfälligen Erlebnisse seines Helden aneinander.

Tommy bimmelt mit einem Eis-Truck durch die Wohnsiedlungen. Tommy flieht vor einem Freund, an dessen junge Tochter er sich rangeschmissen hat. Tommy kniet vor dem Sarg seines Onkels – noch verkatert vom Vortag.

Natürlich konnte der Tausendsassa Buscemi, der fast unter jedem Regisseur jenseits des Mainstreams gespielt hat, auf einen Pool von Charakterköpfen zurückgreifen. Seymour Cassel, bekannt aus Cassavetes-Werken, spielt den lieben Eis-Verkäufer Uncle Al. Chloe Sevigny aus Kids gibt mal wieder die minderjährige Kiffergöhre. Samuel L. Jackson, der Unvermeidliche, poltert als Möbelpacker ins Bild. Bislang unbekannt ist hingegen Bronson Dudley, der hier stur vor seinem Whisky-Glas am Tresen sitzt. Nichts bewegt sich im Gesicht, nur das Toupet verschiebt sich mit jeder Einstellung.

Bis ins letzte Detail hat Buscemi seine Verlierer-Studie ausgearbeitet. Gemächlich ist der Rhythmus, freundlich-ironisch der Tonfall. Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, hier in einem Genre gelandet zu sein, das man für tot hielt. Pädagogen-Kino, ganz leise.

Christian Buß

Abaton