Vom Schmuddelkind zum Seiltänzer

■ Honkong in Action: eine sechsteilige Filmreihe mit Altmeistern und einem Neuling im 3001

In Hongkong lernt das Kino fliegen. Einstürzende Feudalbauten, durch die Luft schwirrende Frauenbattailone und Kung-Fu-Meister. Hier wird mit Schwertern und bösen Flüchen herumgefuchtelt und der Inhalt des Plots tritt demütig hinter den Körperzirkus zurück. Meist geht es um verschollene Pergamentrollen mit wertvollen Weisheitsempfehlungen, um korrupte Eunuchen am Kaiserlichen Hof und die Drohungen moderner Zeiten. Die tritt wiederum in Gestalt unwirscher Nachwuchskämpfer auf den Plan, die ihre Kunst für alles einsetzen, was guten Lohn einbringt und dabei Werte ihrer Kaste, eine Art spiritueller Aristokratie, zum Teufel schickt.

In Hongkong-Filmen, denen das 3001 nun eine Filmreihe widmet, schaffen Bilder und Bewegungen ein Zwischenreich, auf dem die Regeln abendländischer Zivilisation nicht mehr funktionieren. Entsprechend werden auch britische Kolonialherren zu Fratzen der Macht oder schlicht zu hackeblöden Verhaumaterial diskreditiert. Bilderstürme vom Laufband einer geölten Produktionsmaschinerie, die angesichts eines sich nun bald verändernden Filmmarktes in blanke Verwertungshysterie zu fallen scheint.

In den 70 Jahren, als der Hongkong-Film noch als Schmuddelkind galt, beherrschten die Shaw Brothers den Markt. Sie installierten eine Art Film-Fordismus, der nicht nur Billigstprodukte abwarf, sondern schießlich auch Werke von Altmeistern wie Chang Cheh. Und Das Schwert des gelben Tigers (26., 27. Januar, jeweils 22.30 Uhr) wurde für Hongkongs Spielberg John Woo zur „ungeheuren Offenbarung“. Ein einarmiger Wunderkrieger verteidigt hier gleich mit drei Schwertern den Kulturtransfer der „martial arts“ gegen die feindliche Tigerburg und ihre verkommenen Kämpfer. Studiowelten zaubern dazu ein weites, altes China herbei und verdrängen für die Illusion ein real verbautes Hongkong, in dem 150.000 Menschen auf einem qkm zusammengepfercht leben. Kein technischer Fortschritt, kein proletarisches Elend stört hier die erhabenen, archaischen Konflikte zwischen Gut und Böse. Chehs Film ist einer der wichtigsten Vorläufer für Produktionen des neuen Hongkong-Kinos wie Chinese Ghost Stories von Ching Siu Tung (24., 25. Januar, 22.30 Uhr) und King Hus und Tsui Harks furiose Kampfoper Meister des Schwertes (26.-29., jeweils 20.30 Uhr), ein schwindelerregend rasanter Abgesang auf die alte Schwertkunst.

Auch Bruce Lee war zunächst ein synthetisches Muskelextrakt aus dem Shaw Labor, avancierte dann aber zum ersten Individualisten der noch anonymen Serienprodukte. Weltweite kommerzielle Erfolge und eine mystische Note brachte der frühe Tod des erst 32jährigen mit sich. (Die Todeskralle schlägt wieder zu am 23. Januar, 22.30 Uhr)

Ebenso hatte sich Jackie Chan an einer Reihe uninspirierter Filme abarbeiten müssen, bis er mit seinen Karate-Parodien aufwarten konnte. Seine comichaften Figuren sind keine tumben Hau-und-Tret-Apparate, sondern kinetische Gelenkstellen im schnellen Spiel reiner Bewegung. Sie verunglimpfen die emphatischen Macho-Posen des Italo-Western ebenso wie vermeintlich asiatisch kellnerhafte Unterwürfigkeit. Und im Zweifelsfall halten sie immer zu chinesischen Umstürzlern, auch wenn sie selbst angestellte Polizisten unter britischer Staatsmacht sind wie in Projekt B (28., 29. Januar, jeweils 22.30 Uhr).

Eine gänzlich ungewöhnliche Hongkong-Produktion: die Sozialreportage Gangs von Lawrence Ah Mon (Erstaufführung). Alle Akteure sind von der Straße weg gecastet und bevölkern ein Sozialbau-szenario voll Wut und Lärm. Statt Shaolin nun Suff und Syndikate, statt Schwertergerassel, schmuckloses Sterben im Kugelhagel.

Birgit Glombitza