Im Blumenzwiebelghetto

■ Der „Stern“ präsentiert in einer Ausstellung „Die Wunschhäuser der Deutschen“ - das Siegerbauwerk steht künftig in Oberhausen

Der Gott des Speckgürtels ist der Fertighauskatalog. Er regiert die Welle der Ein- und Zweifamilienhäuser, die sich konzentrisch um die Städte in die Landschaft ergießt, mit dem abscheulichsten Geschmack. Weiße Giebelhäuschen mit grauen Rollos, kugelgläserner Außenbeleuchtung und gezwirbelten Balkonstreben aus Stahl hinter Jägerzaun und Vorgärtchen - eine beklemmende Traurigkeit geht von dieser Monotonie aus, die Selbstverwirklichung und Eigenheimstolz sein will.

Dennoch wollen 90 Prozent der Deutschen – so jedenfalls behauptet der Stern – am liebsten im Einfamilienhaus wohnen. Da man trotz aller Argumente gegen die Zersiedelung der Städte – Naturzerstörung, mehr Autoverkehr, soziale Segregation, Vernichtung des Klein- und Einzelhandels, astronomische Infrastrukturkosten und miserable Energiebilanz – der Sehnsucht nach dem Blumenzwiebelghetto nicht Einhalt gebieten kann, bleibt nur der Ausweg, den Schaden zu minimieren.Dies kann jedoch nur bei den Faktoren Ästhetik und individuelle Ökologiebilanz gelingen. Die wirklichen Folgeschäden des „Sprawl“, wie man sie an US-amerikanischen Großstädten in ihrer gesellschaftlichen Zerstörungswirkung sieht, bleiben auch vom schmucksten Haus mit der Super-Energiebilanz unberührt.

Doch wenigstens dem Gott des Speckgürtels hat Deutschlands Durchblätter-Magazin Nr. 1 jetzt den Krieg erklärt. Gemeinsam mit der Schwäbisch Hall wurde im vergangenen April die Aktion „Das Wunschhaus der Deutschen“ gestartet. 70.000 Sternleser haben auf Fragebögen ihren Häuslebauer-Emotionen freien Lauf gelassen und das Magazin hat daraufhin einen Architekturwettbewerb ausgelobt, der das ultimative deutsche Traumhaus erbringen sollte.

Zehn Büros aus vier Ländern wurden eingeladen, das Domizil zu entwerfen, das „freistehend, pfiffig gestaltet, praktisch, ökologisch“ und natürlich „bezahlbar“ sein mußte. Da nicht die Leser, sondern eine prominent besetzte Jury die Sieger kürte, überrascht es auch nicht, daß das Wunschhaus der Deutschen skandinavisch ist. Die Kassler Baufrösche haben ein Doppelhaus entwickelt, dessen Erscheinung man vielleicht an einem umgeklappten See in Schweden erwarten würde, das aber in Oberhausen zwischen Klinkerbuden, Gasometer und dem neuen Shopping-Mall-Wahnsinn CentrO, wo es als Demonstrationsobjekt gebaut wird, eher wie zwei Petite fours an Kassler mit Sauerkraut wirkt.

Nicht, daß das schlecht ist, aber ob der städtische Angestellte mit Bausparvertrag seine Schrankwand, seinen Couchtisch und seine Blumenampel wirklich in zwei Holzwürfeln, der eine blau, der andere rot, verbunden mit einer gläsernen Brücke, unterbringen möchte, scheint doch anzweifelbar.

Gemein ist allen Entwürfen, daß sie individuelle Lösungen hervorbringen, die um ein vielfaches attraktiver und schlüssiger durchdacht sind, als die weiße Giebelkiste. Allein diese zehn Typen mit ihren Variationsmöglichkeiten würden der fortschreitenden Landschaftszerstörung ihre traurige Erscheinung nehmen. Und weiß man um die aufklärerische Kraft des Stern, dann kann man hoffen, daß dieser Ideenwettbewerb die architektonische Wende einleitet, denn die Kostenausrede zählt jetzt nicht mehr: Alle Vorschläge sind preiswert und oft energiesparend. Jetzt muß Häuslebauer nur noch Geschmack beweisen. Till Briegleb

Eröffnung heute, 19 Uhr; Ausstellung der Modelle: Gruner + Jahr-Verlagshaus, Baumwall 11, Foyer, täglich 10-18 Uhr, bis 9. Februar