Die Polizei ist freundlich, das Wetter angenehm mild

■ Lustige heile Welt: „Rasmus und der Vagabund“, eine Astrid-Lindgren-Verfilmung von Olle Hellbom

Vorbei flattern Erinnerungen an eine Zeit, in der Wiesen noch grün waren und die Kinder, die darüberliefen, noch barfuß. Eine so glückliche Zeit, daß die bösen Buben mit einer Steinschleuder schon schwer bewaffnet waren und dann „Schlingel“ hießen – ein Wort, das man heute getrost aus dem Duden streichen könnte.

„Rasmus und der Vagabund“, eine Astrid-Lindgren-Verfilmung von 1981, die jetzt wieder in die Kinos kommt, beginnt in einem Waisenhaus, das inmitten der saftigsten Natur liegt. Und wenn zum Essen gerufen wird, dann rennen all die blauäugigen und strohblonden Waisenkinder in ihren viel zu kurz geratenen Trägerhosen und ziehen die Beine an wie Störche. Nur Rasmus läßt sich lieber einen Wurm über die Nase krabbeln. Dann kommt ein kinderloses Ehepaar in einer Kutsche vorgefahren, aber die nehmen immer nur blonde Mädchen, weswegen Rasmus beschließt, sich „alleine Eltern zu suchen“. Rasmus rückt aus, und über die dämmerigen Wiesen streicht ein fetter Nebel, der sich heimelig um den Jungen schließt.

Von da an scheint nur noch die Sonne, und Oskar, der Landstreicher, dem Rasmus wie ein Hündchen folgt, spielt seine Quetschkommode und singt Lieder übers Furzen. „Warum bist du denn Gottes Zugvogel?“ fragt Rasmus den Vagabunden, und der antwortet: „Na, einer muß es ja machen.“ Ja, lustig ist das Vagabundenleben, denn alles hat seinen Platz in dieser Welt, selbst die Penner und die Waisen. Die Polizei ist freundlich, die Schnurrbärte sind gewaltig, das Wetter ist mild, und wenn es doch mal regnet, findet sich ganz sicher eine Kate zum Unterstellen und fotogen Bibbern. Und am Bahnhof des kleinen Städtchens hält sogar ein Zug, aus dem der König aller Schweden aussteigt, um seine Untertanen jovial zu begutachten.

Regisseur Olle Hellbom zeichnete für mehr als die Hälfte aller Astrid-Lindgren-Verfilmungen verantwortlich, darunter vor allem alle klassischen Pippi-Langstrumpf-Versionen. „Rasmus und der Vagabund“ war bereits die zweite Verfilmung des Lindgren- Buches nach einer ersten von 1955 und zugleich Hellboms letzte Regiearbeit. Ein Jahr später starb er, als er gerade „Ronja Räubertochter“ vorbereitete – in der Regie von Tage Danielsson dann eine der besten Umsetzungen eines Lindgren-Stoffes überhaupt.

Neunzehnmal hat Hellbom Regie geführt, achtzehnmal hatte er dabei eine Geschichte von Lindgren als Vorlage. Und meist hat er sich damit hervorgetan, die heile Welt von Lindgren noch ein wenig heiler zu zeichnen. Selbst die anarchische Pippi Langstrumpf versuchte Hellbom auf die vorwitzige Sommersprosse zu reduzieren, was ihm nur zum Teil gelang. In „Rasmus und der Vagabund“ sind Gefängniszellen mit Vorhängeschlössern gesichert, und aus den manchmal durchaus bedrohlichen Bösewichtern aus den Büchern werden bemitleidenswert trottelige Tolpatsche, die in Slapstickmanier durchs Unterholz hechten.

Kaum zu glauben, daß dieser Film 1981 gedreht wurde. Alles, aber auch wirklich alles wendet sich zum Guten. Nur im äußersten Notfall, wenn die Welt wirklich aus den Angeln gehoben zu werden scheint, wenn die Gerechtigkeit sich einen Moment verirrt hat, dann muß resolut eingeschritten werden. Aber meist reicht es dann, dämlichen Gangstern eine Abreibung mit dem Holzprügel zu verpassen – aber immer nur auf den Po. Und seien wir mal ehrlich: So einfach war die Welt nie. Aber wer hat sich denn nicht wenigstens einmal gewünscht, sie wäre es. Thomas Winkler