Männerfreundschaft geht vor

■ ...auch wenn das Weib zu Bette ruft. Darin unterscheidet sich Dietls „Rossini“ nicht von gängigen Vorabendserien

So ein unbeschwerter Anfang: Die Kamera schlendert die Vorderseite des Schickerialokals „Rossini“ wie ein Spaziergänger entlang, schaut durch die großen, erleuchteten Fenster, ganz unbeteiligt. Sie erhascht einen Blick auf teuer gefüllte Teller, auf klirrende Gläser und elegant hetzende Kellner. Die Gäste sind gar nicht wichtig, wie zufällig streift sie die flanierende Kamera auf ihrer Fahrt. Sie vermittelt das Gefühl, Götz, Veronica und ihre Freunde seien wirklich nur hier, um ein Viertel italienischen Rotwein zu schlürfen und Bekannte zu treffen.

Regisseur und Produzent Helmut Dietl fängt in den ersten Minuten von „Rossini“ an, einen Traum zu träumen: den Traum von einer deutschen Filmkomödie, die ihre Akteure nicht schon im Vorspann auf ihren Charakter festklopft. Und die es trotzdem verkraftet, die Hauptrollen mit Mario Adorf und Götz George zu besetzen und dem Superweib Veronica Ferres beim Casting eine Chance zu geben.

Ausgeträumt, spätestens wenn Götz George als fahriges, langbemanteltes Regisseurklischee das Lokal betritt. Kaum ist er im Séparée des „Rossini“ verschwunden, reißt er sich den langen Mantel und das Hemd vom Leib, steht im Muskelshirt vor einem Handwaschbecken und ferkelt schwitzend und spritzend herum, als habe er gerade einen Boxkampf hinter sich. Der Schriftsteller Jakob Windisch ist entsprechend indigniert, und weil er von Joachim Król gespielt wird, stottert er ein wenig.

Erfolgsfilmer Dietl („Schtonk“, „Kir Royal“) hat das Drehbuch zusammen mit dem Schriftsteller Patrick Süskind geschrieben. Die beiden versuchen sich als Aristoteliker, lassen ihre Akteure fast ausschließlich auf der Bühne des In- Restaurants zusammenkommen und halten den Zeitrahmen, wenn schon nicht auf einen Tag, immerhin auf 48 Stunden beschränkt. Doch die Handlung will sich einfach nicht recht fügen in diesen starren Rahmen. Dietl und Süskind haben ein paar Geschichten zusammenfabuliert, die sich im allerweitesten Sinne um „die mörderische Frage, wer mit wem schlief“ ranken – so der Untertitel, eine Zeile aus einem Gedicht von Wolf Wondratschek immerhin.

Sex and Crime, die der Untertitel verspricht, sucht man in „Rossini“ allerdings weitgehend vergebens. Geschlechtsverkehr zum Beispiel findet nicht statt, wenn auch viel davon geredet wird. Der magenkranke Regisseur Uhu Zigeuner (Götz George und sein Mantel) kann meistens nicht, weil er berufsmäßig gestreßt ist und dauernd aufstoßen muß, Signore Rossini (Mario Adorf) muß sich von Ludern und Lesben enttäuschen lassen, und Windisch ist einfach zu schüchtern. Statt dessen dürfen wir uns mit der mörderisch langweiligen Frage quälen, warum die tolle Valerie (Gudrun Landgrebe) mit dem Bohemiendichter Bodo (Jan Josef Liefers) – der in seiner Rolle Wondratscheks schöne Gedichte zitieren darf – und dem großkotzigen Geldsack Oskar Reiter (Heiner Lauterbach) abwechselnd ins Bett geht, ohne sich so recht für einen entscheiden zu können. Statt sich zu duellieren, bleiben die beiden natürlich trotzdem Kumpels. Männerfreundschaft geht vor, auch wenn das Weib zu Bette ruft: Dietl beutet Klischees aus, doch es fehlt ihm der Mut, sie mit seinen abgedroschenen Figurenkonstellationen (Bohemien vs. Alt-Yuppie) aufzubrechen. Was bleibt, sind Handlungsstränge, wie man sie in einer besseren ZDF-Vorabendserie findet.

Es bleibt, wie immer, das wirkliche Leben, und das findet in diesem Fall in München statt. Das Presseheft legt dezent nahe, „Rossini“ als Schlüsselepos anzuschauen. Die Schwabinger Edelschwemme „Romagna-Antica“ nämlich soll als Vorbild für die Filmkneipe gedient haben. Dort, so hört man, bieten sich allabendlich tolle Schauspielerinnen und Playboy-Redakteure gegenseitig die Wange zum Begrüßungskuß dar. Man könnte nun grübeln, wer wohl wer ist von diesen wichtigen Menschen in Dietls Film. Aber mit dem wirklichen Leben verhält es sich eben wie mit den meisten deutschen Komödien: So richtig lustig, so richtig interessant ist es einfach nicht. Kolja Mensing

„Rossini oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief“. Regie: Helmut Dietl. Mit Götz George, Mario Adorf, Gudrun Landgrebe u.a. Deutschland 1996, 110 Min.