Linke und Hyperlinke

■ Diskussion zum Geburtstag des Online-Magazins "Trend": Linke Gruppen entdecken die Solidarität im World Wide Web

An der Theke sitzen ein paar Jungs mit hochgezogenen Schultern und schlürfen Tee. Ein Barmann in Unterhemd und Schlabberhose bastelt an der Kaffeemaschine, die keinen Wasserdampf mehr für den Cappuccino rausblasen mag. Hier soll eine Veranstaltung zum Internet stattfinden, dem Risenhype?

Das Jugendzentrum „Chip“ in Berlin Kreuzberg sieht noch fast so aus wie damals, als das „Netzwesen“ noch eine Sache für Hacker, Fanatiker und Cypherpunks war. Zwei Computer, um die sich kleine Grüppchen geschart haben, fast alles Männer. Und eine Stunde nach Veranstaltungsbeginn fehlt noch immer das Treiberprogramm, um Web-Pages mit einem Projektor an die Wand des turnhallenartigen Saals zu werfen.

Aber es ist eben nur fast wie früher: Zwischen bunten Haaren schieben sich auch Achtundsechziger und Traditionslinke mit Bierbauch an den Büchertischen vorbei. Nicht nur von „Compilern“ und „Suchmaschinen“, auch von „Gegenöffentlichkeit“ und „Solidaritätsgruppen“ ist die Rede. Und habe ich da nicht sogar ein kariertes Palästinensertuch gesehen? Unter dem Titel „Alles nur bunte Reklametafeln an der Datenautobahn?“ haben sich linke und linksradikale Onliner versammelt, eingeladen vom „BerliNet“ (www.berlinet.de), einer Mailbox mit Internet-Verbindung.

Anlaß der Veranstaltung: der erste Geburtstag des Online-Magazins Trend (www.berlinet.de/ trend/), das sich als „publizistisches Projekt zur Schaffung einer linken und radikalen Öffentlichkeit in World Wide Web und Internet“ versteht. Bald nach seiner Gründung haben sich auch andere linke Magazine dem „großen Treck in den Cyberspace“ angeschlossen. Allein auf dem Server von BerliNet liegen heute fast ein Dutzend Online-Ausgaben linker Zeitschriften. Friede den Festplatten. Gruppen, die sonst nichts miteinander zu tun haben wollten, teilen sich den Rechner: „Poonal“, eine Nachrichtenagentur für Meldungen aus Lateinamerika, der Kurdistan-Rundbrief, die Zeitschrift Antirassistischer Gruppen, die Jugendumweltzeitung Juckreiz.

Für den Trend-Redakteur Karl- Heinz Schubert konnte das Internet „die Dialogfähigkeit der Linken wiederherstellen“. Es biete die Chance, zerstrittene Fraktionen wieder zu vernetzen – und sei es durch Hyperlinks. Auf der Trend- Homepage heißt es ausdrücklich: „Schickt uns Eure Artikel, Presseerklärungen, Aufsätze, Veranstaltungshinweise per Email oder als Diskette. Wir veröffentlichen eure Texte im Internet.“

Eine ideologische Zensur findet nicht statt. Als Beilage des monatlichen Ezines erschienen unter anderem Beiträge aus so verschiedenen Blättern wie Bahamas, Linkskurve, dem anarchistischen A-Kurier und der irischen Widerstandsgruppe „Spirit of Resistance“. Doch Schuberts Optimismus überzeugt nicht alle. „Wir sind nur im Netz, weil man das heutzutage machen muß“, sagt ein Vertreter der „Roten Hilfe“. Neue Mitglieder seien damit nicht gewonnen worden, dafür wolle man sich weiter der traditionellen Mittel, der Demos und Broschüren bedienen. Allerdings werde die Kommunikation leichter – das Briefeschrieben entfällt.

Auch Dritte-Welt-Gruppen wollen die E-Mail nicht mehr missen. „Poonal“ verschickt seinen wöchentlichen Infodienst inzwischen nicht mehr nur mit der Schneckenpost, sondern auch über eine Mailingliste. Doch für die politischen Debatten der Linken sind Fido-Net oder andere Mailboxen immer noch beliebter als das Internet. Es gibt Schätzungen, nach denen nur ein Prozent der deutschsprachigen Webseiten politische Inhalte haben.

Trotzdem verteidigen die Trend-Macher ihr Engagement im „Grafikgewitter“: Erstens dürfe man das Internet nicht einfach kommerziellen Anbietern überlassen. Und zweitens könnten im Web nicht nur „zerhackte Debatten“ wie im Usenet und in den Mailboxen, sondern auch längere Texte und sogar vergriffene linke Klassiker zugänglich gemacht werden. Inzwischen ist der Projektor- Treiber eingetroffen, und zum Beweis kann Michael Klockmann von der Zeitschrift Antirassistischer Gruppen seine eigenen Webseiten vorführen. Dafür hat er die HTML-Sprache gelernt. „Dabei leidet allerdings der Kollektivgedanke“, wendet Schubert ein. Die Produktion eines Online-Magazins werde Experten übertragen.

Mehr Fragen als Antworten also. Was tun, wenn der Staat gegen Linke im Web vorgeht, wie jüngst gegen die Zeitschrift radikal auf dem niederländischen Server von xs4all? Beim nächsten Treffen soll überlegt werden, wie man in einem solchen Ernstfall möglichst schell Mirrorsites und andere Formen der gegenseitigen Unterstützung organisieren kann. Ganz und gar ist die Solidarität nicht digitalisierbar. Denn, sagt Trend- Redakteur Schubert, dieses Treffen „ist auch ein Versuch, aus dem Virtuellen zurückzukehren. Wenn hier nicht wirkliche Menschen zusammen kommen, um zusammen Politik zu machen, dann hat sich diese Veranstaltung nicht gelohnt.“ Hat sie aber doch. Tilman Baumgärtel

100131.2223@compuserve.com