Wahnsinn und Wahrheit

■ Der BSE-Ausschuß des Europäischen Parlaments fühlt sich „verarscht“

Brüssel (taz) – Die Europäische Kommission hat sich bei ihrer BSE-Politik nicht immer an die wissenschaftlichen Erkenntnisse gehalten, wie sie bisher stets beteuert hat. Das geht aus einem geheimen Sitzungsprotokoll vom 22. Juni 1996 hervor, das der belgischen Zeitung Le Soir zugespielt wurde. Danach hat die EU-Kommission das Exportverbot für britische Gelatine gelockert, obwohl der wissenschaftliche Beraterausschuß erhebliche Bedenken hatte.

Das geheime Protokoll sorgte in Brüssel gleich in mehrfacher Hinsicht für Aufregung. Denn zum einen belegt es, daß die EU-Kommission im vergangenen Sommer dem britischen Druck nachgegeben hatte. Der britische Premierminister John Major hatte Kommissionspräsident Jacques Santer in einem Brief mit „Maßnahmen“ gedroht, wenn aus Brüssel kein positives Signal komme.

Zum anderen fühlt sich der BSE-Untersuchungsausschuß des Europäischen Parlaments einmal mehr an der Nase herumgeführt. Schließlich hatte der Ausschuß von der EU-Kommission alle BSE-relevanten Unterlagen verlangt. Das jetzt bekannt gewordene Sitzungsprotokoll war jedoch nicht dabei. Die Kommission habe den Untersuchungsausschuß „verarscht“, schimpfte gestern der CDU-Europaabgeordnete Reimer Böge, der den Ausschuß leitet.

Im Büro des Grünen-Abgeordneten Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, der ebenfalls im Ausschuß sitzt, ist man weniger überrascht: „Wir haben fast alle wichtigen Unterlagen auf Umwegen bekommen.“ Die EU-Kommission habe nur ausgewählte Dokumente herausgerückt. So hat der Untersuchungsausschuß erst nach der Befragung des ehemaligen Agrarkommissars Ray MacSharry erfahren, daß dieser 1989 die rechtliche Klärung unterbunden hat, ob die EU-Kommission den Export von Tiermehl verbieten kann. Bisher hatte die EU-Kommission behauptet, sie hätte für ein Verbot keine juristische Grundlage gehabt. Alois Berger