Noch 341mal Wachwerden

■ Hamburgs Kindertheater elf Monate vor Weihnachten

Im Dezember haben die Hamburger Theater den Kindern schöne Märchen erzählt. Heute vor vier Wochen war's damit vorbei – mit den Schokonikoläusen aus den Regalen sind die meisten Kinderstücke von den Bühnen verschwunden. Soll der Nachwuchs bis zum nächsten Advent in die Röhre gucken?

Die Argumente dafür, warum in ihrem Haus keine Produktion für Kinder auf dem sommerlichen Spielplan steht, klingen bei vielen Theatermachern ähnlich: „Das ist nicht unsere Zielgruppe“, heißt es schlicht beim Altonaer Theater, „technisch nicht möglich“ wegen zeitraubender Auf- und Abbauten der Kulissen, rechtfertigt sich das Ernst-Deutsch-Theater. Man wolle aber „darüber nachdenken“.

Auch das Thalia und die Kammerspiele haben kein Kinderprogramm. Man sei zwar an jüngeren Zuschauern interessiert, verkünden beide Häuser, aber für ein Kinderstück reicht es offenbar nicht. Im Thalia kümmern sich statt dessen Theaterpädagogen um potentielle Zuschauer unter den Hamburger Jugendlichen. Sie besuchen Schulklassen und bereiten die auf einen Theaterbesuch vor.

Denn: Die jungen Zuschauer zu begeistern, ist kein Kinderspiel. Die faulen Eltern sind schuld, vermuten viele Bühnen. Es sei bequemer, den Nachwuchs vor den Fernseher zu setzen, statt mit ihm ins Theater zu gehen. „Kindertheater ist einfach nicht populär in Hamburg“, meint Jürgen Hübner, der Leiter des Theaterschiffes am Mäuseturm. Als er letztes Jahr ein Kinderstück zeigte, mußte er schließlich Karten verschenken, um mehr als sechs Zuschauer pro Abend zu haben.

Das Imperial Theater will allenfalls im Oktober nochmal das 96'er Weihnachtsstück Der Räuber Hotzenplotz I zeigen, um auf den zweiten Teil einzustimmen, der im Dezember folgen soll. Teil III ist für 1998 geplant. Hamburger Kids brauchen folglich drei Jahre, um zu erfahren, wie die Räubergeschichte endet – und sind beim dritten Teil vielleicht schon zu alt dafür.

Nur Kampnagel und die Hamburger Kindertheater setzen regelmäßig auf kindliche Bühnenbegeisterung. Darüber, was die Kleinen sehen wollen, hat jede Bühne ihre eigene Philosophie. Auf Kampnagel zeigt im Februar das Theater Triebwerk Heinrich der Fünfte – ein Stück, das in diesem Jahr zum Kinder- und Jugendtheatertreffen nach Berlin eingeladen wurde. Im Fundus Theater spielen derweil Puppen kindliche Sorgen nach: Stärker als die Sonne erzählt im Februar von der übergroßen Angst vor Tod und Verschwinden, Es war einmal handelt von Machtlust. Im Theater für Kinder geht es traditioneller zu: Hier werden Märchen aus 1001 Nacht gespielt, erzählt und getanzt.

Spätestens im Herbst will auch das Schmidt Theater ein Kinderstück herausbringen. Wem das zu lange dauert, dem bleibt nur, sich einen Adventskalender mit 341 Türchen zu basteln und darauf zu warten, daß die Kinderstücke im Dezember wieder sprießen.

Judith Weber