Das Internet allein reicht nicht

Wenn die virtuelle Realität von der ökonomischen Wirklichkeit eingeholt wird: Ohne andere Standbeine wie zum Beispiel Cyberspiele neben dem Netzzugang tun sich die Internet-Cafés schwer  ■ Von Joachim Liebers

Klarlackiertes Holz formt die Dielen, die Bar und ein Dutzend Tische. Unaufdringliche Musik und helle Farben untermalen die freundliche Atmosphäre. Dennoch kein normales Café, denn die Hälfte aller Tische ist mit Computern vollgestellt.

Im zwei Monate alten Internet- Café Alpha in Prenzlauer Berg kann man nicht nur plaudern und interessante Getränke schlürfen, sondern auch im Internet durch das World Wide Web surfen, Electronic Mails (E-Mails) schreiben und verschicken oder im Internet Relay Chat (IRC) mit anderen Netznutzern quatschen. Daneben werden die Online-Dienste CompuServe und America Online (AOL) sowie Bild- und Textverarbeitung etc. angeboten.

Bei unserem abendlichen Besuch aber haben wir das Café fast für uns allein. Wo sind die Gäste in Zeiten, in denen der Ausdruck „Multimedia“ schon mal zum Wort des Jahres gewählt wurde? Sind Kneipen mit Computern nur ein virtuelles Strohfeuer? Momentan einziger Konkurrent des Alpha ist das Virtuality Café am Adenauerplatz. In dem 1993 eröffneten Lokal ist man mit den Geschäften zufrieden – das Café rentiert sich, verrät Kai, der als Operator den Kunden die Technik erläutert. Die Betreiberfirma CyberMind AG verkauft ihr Konzept und die Ausstattung auch an andere Gastronomen. Das CyberMind Virtual Reality Café in Hellersdorf konnte aber Ende 1995 mit Virtualität nicht mehr genug reales Geld verdienen und verwandelte sich wieder in ein normales Café zurück. Erst vor kurzem schloß auch der Medien S6lon in Kreuzberg Internetzugang und Pforte mangels Einkünften.

Vermutlich ab Februar soll im Café Global im Haus der Kulturen der Welt Internetzugang an vier Terminals angeboten werden. Geplant ist unter anderem eine Verbesserung der Kommunikation mit Ländern in Asien, Afrika und Lateinamerika und die Unterstützung internationaler Projekte, erläutert Harald Jähner vom HdKdW. Ausstellungen über Kontinente hinweg durch das Internet wären möglich. Bereits im Sommer 1995 konnten Besucher der ehemaligen Kongreßhalle einige Wochen lang an sechzehn Computern durchs Netz streifen. Motiv war dabei aber nur, erste Erfahrungen zu sammeln und der Verhüllung des Reichstags etwas entgegenzusetzen. Die Preise an den zukünftigen Terminals sollen sich nach den Kosten richten, verdienen will man nichts. „Keine Gewinne, keine Verluste“ ist laut Jähner die Devise.

Die Firma Waves möchte ebenfalls in diesem Jahr am Bahnhof Zoo ein Infotainment-Café eröffnen. Natürlich auch mit Internetzugang, kündigt sie auf ihren WWW-Seiten an. Und als gälte es, Virtualität nicht nur anzubieten, sondern auch selbst zu leben, findet sich im WWW keine Postanschrift. Nur eine E-Mail-Adresse ist angegeben, von der man aber keine Antwort bekommt.

Für den kleinen Chat-Hunger abseits des Internet bleiben dann noch die von Philip Morris finanzierten Terminals der „Marlboro Chatline“, die in einigen Gaststätten und Clubs aufgestellt sind. An den Computern im Atlantic, Silberstein, Tresor, Rizz, Akba Lounge und Filmbühne kann kostenlos untereinander gechattet werden. Abgesehen von „Hallo“, „Tschüs“ und Sprüchen à la „Mausi grüßt Adler“ werden hier zum Beispiel auch Veranstaltungstips ausgetauscht.

Wie im Café Alpha ist auch im Wilmersdorfer Virtuality Café das Internet nicht das einzige Standbein. Namensgeber für das Lokal sind die Spielmaschinen, in denen man, ausgestattet mit Cyberhelmen, virtuelle Realitäten erleben kann. So können zwei Spieler zum Beispiel gegeneinander boxen, stehen anderthalb Meter auseinander und sehen die Schläge des anderen nur auf den Displays der Helme. Besucher an der Bar können auf Monitoren alles mitverfolgen.

Untermauert wird das virtuelle Ambiente durch buntes Neonlicht, Holographien an den Wänden und Lichtbänder zwischen den Fußbodenfliesen. Werbebilder sagen „real life sucks ... try virtual reality“. Die sechs Internet-Rechner sind gut ausgelastet. Kai erzählt, daß die Netz-Kundschaft gut gemischt ist: Jung und alt, Frauen und Männer kommen zum Ausprobieren, ausländische Studenten lesen und schreiben hier E-Mails, einige Stammgäste gibt es auch schon. Einzeln oder in kleinen Gruppen wird während unseres Besuchs hauptsächlich im Informationsangebot des World Wide Web gestöbert. Dem Online-Chat im IRC gibt sich heute niemand hin, obwohl das laut Kai beliebter ist als E-Mail.

Wie im Alpha kostet eine halbe Stunde im Internet sieben Mark. Detlev findet das „angemessen“. Er kommt öfter mal her, weil die Atmosphäre hier schöner ist als daheim. Ein anderer Gast, gerade im Gehen, hält die Preise für zu hoch. Aber um sich eine einzige bestimmt WWW-Seite anzusehen, blieb ihm nichts anderes übrig. Mit ihrer kleinen Tochter sitzt eine Schwedin vor dem Bildschirm und schreibt E-Mails nach Hause. Sie zahlt die sieben Mark gerne, denn das spornt an, nicht zuviel Zeit vor dem Computer zu vertrödeln. Dabei einen Kaffee trinken zu können gefällt ihr besonders gut. Ob diese Kombinationen aus Rechenzentrum und Kneipe sich durchsetzen, wird die Realität zeigen. In einem scheinen sich die Betreiber aber einig: Internet allein reicht nicht.