Psychonauten

■ Das Technolabel Mille Plateaux schickt seine Jockeys auf die Tour zur elektronischen Revolution. Bitte ernst nehmen!

Als das Frankfurter Technolabel Force Inc. vor drei Jahren seine Tochter Mille Plateaux an den Start brachte, steckte die elektronische Tanzmusik in der ersten großen Krise. Die Euphorie war verflogen, die Helden der ersten Stunde fingen an, sich zu wiederholen, und auf Großveranstaltungen wie der Mayday tauchten die ersten Scharen von zipfelbemützten Raverlingen auf. Techno war ein Massenphänomen geworden. Und damit war vor allem die studentische Fraktion der Bewegung nicht glücklich.

Dementsprechend groß waren die Hoffnungen, die den Start von Mille Plateaux begleiteten: intelligence strikes back! Denn Mille Plateaux war nicht einfach nur als Plattenlabel gedacht. Benannt nach dem Hauptwerk der Philosophen Gilles Deleuze und Felix Guattari, sollten sich hier diejenigen versammeln, die nach wie vor an bestimmten Issues festhielten, die zu Beginn der „elektronischen Revolution“ noch von allen geteilt worden waren: Auflösung des autonomen Künstlersubjekts hinter den Plattentellern oder in den Geräten, Schaffung neuer klanglicher Räume oder schnelles Auftauchen und wieder Verschwinden. Mille Plateaux faßte die verschiedenen Theorieversatzstücke, die bis dahin diffus durch die Szene gegeistert waren, zusammen und erhob sie zum Programm.

Drei Jahre und 34 Mille-Plateaux-Veröffentlichungen später: Die hochgesteckten Erwartungen konnten nur zum Teil erfüllt werden. Zwar hat das Frankfurter Label im Feld der sogenannten experimentellen elektronischen Musik einen fast schon hegemonialen Status erreicht. Von Alec Empire und Scanner über Oval bis zu Christian Vogel veröffentlichen hier all diejenigen, die ihr Schaffen dem Experimentellen gewidmet haben. Doch gemessen am eigenen Anspruch, hatte das revolutionäre Programm immer auch einen Touch von Rhetorik. Das Label bezieht einen großen Teil seiner Anziehungskraft aus seinem Image, gleichzeitig aber hat Mille Plateaux das Format „experimentelle elektronische Musik“ in eine sichere Marktnische geführt. Der Bezug auf die Philosophie signalisiert dabei: Achtung, hier Kunst, bitte ernst nehmen!

Nun gehen die Frankfurter auf Labeltour. Mit Alec Empire und Techno Animal schicken sie zwei typische Vertreter des Genres „elektronisches Experiment“ durch die Lande. Beide pflegen eine kantige Spielart von Elektronik-Crossover. Die Beats sind krachig und etwas übersteuert oder fehlen ganz.

Die Sounds sind nie angenehm, sondern sägen und fiepen sich in die Gehörgänge. Elektro meets Dub meets Industrial und behauptet Stockhausen. Alles zusammen klingt immer etwas provisorisch, unabgeschlossen und „prozeßhaft“. Mitunter, wie auf Empires Album „Hypermodern Jazz 2000.5“, ist das sehr gelungen, meistens jedoch nicht.

Dritter im Jungsbunde ist der Produzent und DJ Spooky, auf Mille Plateaux bisher nur auf Compilations vertreten. Nach der Veröffentlichung seiner Platte „Songs of a dead dreamer“ und einer Mix- CD ist der New Yorker über den gleichen Mechanismus wie die Frankfurter zum Lieblingskind des Popfeuilletons avanciert – obwohl keine der beiden Platten sonderlich spektakulär ist. Doch die Selbststilisierung Spookys als „polymorph-perverser Psychonaut, der durch Datenwolken navigiert“ und die Einschätzung seiner Platten als „postrationale Kunst“ und „kulturelle Entropie“ brachte sogar die Zeit dazu, Spooky zum „Derrida der Tanzmusik“ zu erklären.

Von der Deterritorialisierung und dem „Werdet rosarote Panther“ ist nicht viel mehr übrig geblieben als „Redet dadrüber!“ und: „Bringt eure Lektüre an den Mann!“ Wenn das Buch der vielbemühten Franzosen als Werkzeug benutzt wird, wie die beiden nicht müde wurden zu fordern, dann im Sinne eines schlichten Imagetransfers. So betrachtet ist die Tour in Berlin mit den Veranstaltungsorten Volksbühne und Akademie der Künste an der richtigen Adresse. Wer hier den Klangstrom zum Beben bringen will, kann seine rosa Pillen mit Walter Jens und Frank Castorf teilen. Tobias Rapp

Mille-Plateaux-Tour mit DJ Spooky, DJ Rush, Alec Empire, Techno Animal, Phillip Virus u.a.: Heute, Berlin (sowohl im Roten Salon der Volksbühne als auch in der Akademie der Künste), 25.1. Dresden, 26.1. Hamburg, 28.1. Wien, 30.1. Basel, 31.1. Zürich, 1.2. München