■ Thierse-Solidaritätskomitee: Die SPD im Dilemma
: Anstrengender Spagat

Die ostdeutschen Sozialdemokraten hecheln der Realität hinterher. „Notizen“ hatte sich Wolfgang Thierse kurz vor Weihnachten gemacht und dafür innerparteilich viel Prügel eingesteckt. „Unwürdig“ nannte der DDR-SPD-Gründer Stephan Hilsberg dessen Gedanken zum Umgang mit der PDS, sein sächsischer Bundestagskollege Rolf Schwanitz sprach gar von „Verrat“. Jetzt haben sich vier der fünf ostdeutschen Landesvorsitzenden hinter den Ostberliner SPD-Vize gestellt. Sie wollen nach den Landtagswahlen 1998/99 wie Thierse die Zusammenarbeit und Koalitionen mit der PDS in den neuen Bundesländern nicht länger ausschließen, sofern damit der „politische Auftrag der Wählerinnen und Wähler“ erfüllt werde.

Ein Befreiungsschlag ist der Brief allerdings nicht. Eher gequält bemüht sich das vierköpfige Thierse-Solidaritätskomitee um Anschluß an die ostdeutsche Realität. Auch mit ihrer demonstrativen Geste können sie das Dilemma der SPD-Ost nicht lösen. Sie müssen auf die PDS zugehen, wollen sie sich dort aus Hintzes „babylonischer Gefangenschaft“ (Dewes) befreien, und sie wissen doch, Rot-Grün wird in Bonn nur mit einer klaren Absage an die PDS zu haben sein.

Wie lange halten die Sozialdemokraten diesen Spagat noch aus? Gemeinsamkeiten gibt es kaum noch zwischen denjenigen, die in der PDS eine linksreaktionäre Bande sehen, und denjenigen, die der PDS die Chance geben wollen, sich als Juniorpartner der SPD für politische Reformen zu engagieren. Der Riß geht quer durch die Partei. Dies zeigt die Unterschrift von Steffen Reiche unter dem Thierse-Solidaritätsschreiben. Entgegen den Thierse-Kritikern ist die Mehrzahl der SPD-Genossen im Osten durchaus bereit, sich auf eine auf die Ostländer begrenzte Zusammenarbeit mit der PDS einzulassen. Schon dies ist ein innerparteilicher Kompromiß, schließlich gibt es, wie die Erfurter Erklärung gezeigt hat, auch solche Genossen, die „für eine andere Politik“ auch in Bonn auf die PDS zurückgreifen würden.

Den SPD-Moralisten hingegen sind die Argumente ausgegangen. Während sich die PDS in rasantem Tempo realpolitisch wendet, greifen sie rhetorisch immer tiefer in die Mottenkiste des Kalten Krieges. Ein Zurück scheint da kaum noch möglich. Hintze wird sich demnächst über neuen Zuwachs für die CDU freuen können. Das könnte der Befreiungsschlag werden, aber auch der Anfang vom Ende der ostdeutschen Sozialdemokratie. Christoph Seils