„Werden sie Mitglied im Sportverein“

Seit die Krankenkassen frei gewählt werden können, ist die Konkurrenz zwischen den Versicherungen entfacht. Doch trotz der Unterschiede bei den Leistungen gilt: Alle Versicherten müssen Präventionskurse nun selbst bezahlen  ■ Von Matthias Fink

Seit Jahresbeginn ist es ernst geworden mit der „freien Kassenwahl“: Erstmals konnten die Krankenkassen ÜberläuferInnen von konkurrierenden Kassen begrüßen. Wer als PflichtversicherteR die Kasse wechseln möchte, kann dies jeweils zum Jahreswechsel tun und muß daher bis zum 30. September die bestehende Krankenversicherung kündigen. Nur zwei Monate beträgt hingegen die Kündigungsfrist für freiwillige Mitglieder in einer gesetzlichen Krankenversicherung. Sie haben außerdem eine größere Qual der Wahl, denn sie können sich auch für eine private Kasse entscheiden. Auch wer sich – pflichtgemäß oder freiwillig – bei der „Gesetzlichen“ neu versichern will, kann heute zwischen den Kassen wählen. Ersatzkassen stehen bundesweit offen, auch die jeweilige Ortskrankenkasse kann man überall wählen.

Vor allem zahlungskräftige Schichten sind heiß begehrt, so daß auch die Privaten im Wettbewerb kräftig mitmischen. Dies spürt etwa die Techniker-Krankenkasse (TK). Während die TK nur geringfügig Pflichtversicherte verloren habe, sind immerhin 1.100 Berliner zur privaten Krankenversicherung abgewandert, berichtet Detlef Natusch von der Berliner Landesvertretung der TK. Insgesamt hat die TK, seit ihrer Gründung 1884 für „die technischen Berufe“ zuständig, aber ordentlich von der Öffnung profitiert. Natusch nennt 30.000 Neueintritte, die die TK im letzten Quartal 1996 registrieren konnte. Die Gesamtzahl der TK- Versicherten in Berlin liege „bei über einer Viertelmillion“.

Bisher unterscheiden sich die Mitgliederzahlen der Kassen stark voneinander. Gleiche Chancen im Wettbewerb sollen sie vor allem durch den „Risikostrukturausgleich“ bekommen: Kassen mit vielen alten oder kranken Mitgliedern erhalten nunmehr Unterstützungszahlungen aus den Haushalten derjenigen Konkurrenten, die mit zahlungskräftigen, jungen BeitragszahlerInnen Überschüsse erwirtschaften. Bei der TK ist man folglich auf diese Seehofersche Neuerung nicht gut zu sprechen. In den monatlichen Mitgliederbroschüren beschwert sich die TK, daß sie über die Ausgleichsmaßnahmen vor allem die Ortskrankenkassen finanziert.

Dagegen ist die AOK Berlin für all diejenigen attraktiv, die gar nicht zum Arzt müssen: Wer im gesamten Kalenderjahr keine Leistungen der Kasse in Anspruch genommmen hat, bekommt einen ganzen Monatsbeitrag zurück. Völlige Abstinenz gegenüber dem Gesundheitswesen ist dabei nicht unbedingt gefordet, denn Leistungen für Minderjährige, für Schwangere und junge Mütter bleiben bei dieser Regelung ebenso unberücksichtigt wie Früherkennungsuntersuchungen und Impfungen.

Ob die Konkurrenz nachzieht? Detlef Natusch von der TK ist persönlich skeptisch: „Es entspricht nicht gerade dem Sozialprinzip, Beiträge zurückzuerstatten.“ Vielleicht komme die TK aber nicht umhin, solche Verfahren doch einzuführen: Durch die „Neuordnungsgesetze“ im Gesundheitswesen sollen diese und weitere Regeln in der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt werden, die traditionell nur bei privaten Krankenversicherungen in den Verträgen auftauchten.

Auch bei der AOK läuft die Rückerstattung bisher erst zur Probe. Das Verfahren „hat eine positive Resonanz gefunden“, berichtet AOK-Pressesprecherin Gebriele Rähse. Damit kann sie auch entschuldigen, daß der AOK- Beitragssatz in Berlin mit 14,9 Prozent des Einkommens höher als bei der Barmer (13,4 Prozent) oder der TK (12,8 Prozent) liegt. Den Verlust durch die ersten Kassenwechsel sieht Rähse als gering an: „98 Prozent der Mitglieder haben uns die Treue gehalten, entgegen den Prognosen der Mitbewerber.“

Aufgrund ihrer großen Mitgliederzahl können Kassen wie die AOK (1,1 Million Versicherte in Berlin) immerhin viele Extremfälle auffangen, in denen Behandlungen überdurchschnittlich viel kosten. Die Größe hat außerdem praktische Vorteile, da sie die Kassen auch jetzt noch vor der Konkurrenz schützen kann. Clemens Kunisch, Berliner Abteilungsleiter für Marketing und Werbung bei der Barmer Ersatzkasse, verweist etwa auf das dichte Netz seiner Kasse, die 33 Geschäftsstellen in Berlin und zusätzlich Außendienstmitarbeiter hat. „Dadurch können wir individuellen Service bieten.“

Besonders gerne empfahlen sich die Kassen bislang mit ihren Präventionsangeboten. Doch zum 1. Januar trat das „Beitragsentlastungsgesetz“ in Kraft, und die Kassen mußten diese Angebote praktisch ganz einstellen. Höchstens als Rehabilitationsmaßnahme für Genesende läßt sich manche Gesundheitsförderung noch durchführen. Im Kundenbüro der „Deutschen Angestellten-Krankenkasse“ (DAK) liegen in den Broschürenregalen schlichte DIN-A-4-Blätter mit den Nachrichten über die Streichung: „Wir hoffen, daß Ihr Interesse an der Gesundheitsfürsorge nicht nachläßt“, erfahren die Versicherten. „Tun Sie etwas für ihre Gesundheit, werden sie zum Beispiel Mitglied im Sportverein, nutzen Sie die Gesundheitsangebote der Volkshochschulen und anderer Bildungseinrichtungen“, heißt es lapidar.

Auch bei anderen Kassen ist man ernüchtert: „Über 500 Kurse zur Prävention haben wir im letzten Programm für 1996 gehabt“, erzählt Clemens Kunisch von der Barmer. „Das Angebot ist jetzt komplett gestrichen worden.“ Auch Dieter Natusch von der TK betont, die gestrichenen Maßnahmen hätten einer sinnvollen Vorbeugung gedient: „Da war nix dabei, was mit Bauchtanz zu tun hatte.“