Prime-time-Psychologie

■ Im Gegensatz zum abgründigen Fitz bewegt sich "Die Kriminalpsychologin" des ZDF irgendwo zwischen Gutmenschentum und Sozialarbeit (Sa., 20.15 Uhr, ZDF)

„Roß! – Roß!“ soll das wilde Kind Kaspar Hauser im Jahre 1828 gestammelt haben. 169 Jahre später kommt wieder ein wildes Kind zu Wort, diesmal nicht in Nürnberg, sondern im ZDF-Samstagskrimi „Die Kriminalpsychologin“. „Uma – uma“, nölt es und gibt damit, wie schon sein legendäres Role-Model, Anlaß zu wilden Spekulationen – zwar nicht für anderthalb Jahrhunderte, aber immerhin für anderthalb Stunden. Und weil die verstörte, fremdbluttriefende Zwölfjährige gleich zu Anfang mit einem echt Norman Batesschen Küchenmesser aus dem Wald kommt, wird kurzerhand eine habilitierte Psychologin zu Rate gezogen.

Offengestanden hätte Prof. Dr. Lea Katz für die ihr zugedachte Rolle auch ebensogut Journalistin, Kommissarin oder Privatdetektivin werden können. Aber das öffentlich-rechtliche Arbeitsamt hat diese begehrten Posten ja bereits an Anna Marx, Rosa Roth und andere dreisilbige Protagonistinnen vermittelt.

Standardsätze im Vorübergehen

Nur eine Stelle als Kriminalpsychologin beim ZDF war noch vakant. Um so vakanter gar, als ihr britischer Kollege Dr. Edward „Fitz“ Fitzgerald im vergangenen Herbst doch recht erfolgreich aufzuräumen wußte mit allerlei allerweltspsychologischen Klischees, bis er sich im November vorschnell (und vorübergehend?!) von den deutschen Bildschirmen verabschiedete. „Für alle Fälle Fitz“ hatte immer etwas Depressives, beängstigend Realistisches und Robbie Coltranes kantiger Seriencharakter privat und beruflich mehr Untiefen, als seine rundliche Erscheinung vermuten ließ.

Der erste Fall für Lea Katz hingegen (weitere sind geplant) weiß bisher noch zuwenig von menschlichen Abgründen. Ein wenig Hin- und Hergerissensein zwischen Exmann, Ermittler und Eigenständigkeit hier, ein wenig tröstendes Gutmenschentum dort; einen solchen Plot kann auch die durchweg angenehme, vielversprechende Erscheinung von Martina Gedeck in der Titelrolle nicht retten. Um die naheliegende Frage „Ist ,Die Kriminalpsychologin‘ ein weiblicher ,Fitz‘?“ zu verneinen, muß man daher gar nicht erst den aktuellen Spiegel zitieren. Nein, sogar Produzent Norbert Sauer selbst bezeichnet die thematische Ähnlichkeit als „Zufall“ und sieht seinerseits keinerlei Zusammenhang zwischen Fitz und Katz. Und recht hat er. Leider.

Mangels ausreichend berufsspezifischer Aufgaben nämlich macht die Kriminalpsychologin hauptsächlich die Arbeit der Polizei und nebenher auch die einer tüchtigen Sozialarbeiterin. Ansonsten zitiert sie im Vorübergehen Standardsätze aus der Prime-time-Psychologie. Und was nicht im Lehrbuch steht, steht im Drehbuch.

Es hat wenig Sinn, näheres über die Story im Kielwasser des nicht endenwollenden Hauser-Hypes zu berichten: Sie ist wie ein schlechter Derrick, nur länger, und hangelt sich dabei von einer überraschenden Wendung zur nächsten. Das ist um so bedenklicher, als man doch gerade von einem psychologischen Sujet etwas mehr Schlüssigkeit hätte erwarten dürften. Aber so wie der Mörder (soviel sei verraten) nur eine unbedeutende Nebenrolle spielt, mangelt es auch dem Mordopfer, der eigentlichen Schlüsselfigur, an Konturierung: Zu sehen bekommen wir von Anna Maria McKenzie, der toten Rabenziehmutter des wilden Kindes, nur die düstere Wohnung und ihre erkennungsdienstlich abgeklebte Silhouette auf dem Wohnzimmerteppich. Aber der ihr angedichtete Lebenslauf und -wandel ist derart kompliziert, daß man das Gefühl nicht loswird, der leere Umriß diene dem Script nur als Schuttabladeplatz für all die Ungereimtheiten, die sich im Laufe des Krimis anhäufen.

US-Drehbuch für die deutsche Provinz

Doch vielleicht erschließt sich das abstrus anmutende Drehbuch erst mit Blick auf den Drehbuchautor: Der Amerikaner Steve Brown schreibt ansonsten für „Columbo“, „Mord war ihr Hobby“ und „Cagney & Lacey“. Und es scheint, als wäre alles, was Brown aus dem fernen L.A. herübergefaxt hat, ohne großes Nachdenken 1:1 ins Deutsche übertragen: Man könnte wetten, daß die Titelheldin beispielsweise ursprünglich als college professor konzipiert war und erst hierzulande zur verbeamteten Frau Prof. Dr. inklusive Lehrstuhl und Hörsaal umgeschrieben wurde. Oder Anna Maria McKenzies verschrobene Wohnstatt: Im Zweifelsfalle war auch das kleinbürgerliche graue Häuschen im Brandenburgischen zunächst eher ein abgelegenes Haus abseits irgendeines Highways mit gammeliger Veranda und Fliegendrahttür. Hat Brown etwa gar nicht so sehr ins vergangene Jahrhundert geschaut, sondern nur nach Hollywood geschielt? Dort hat Jodie „Nell“ Foster für eine ähnliche unartikulierte Geschichte immerhin einen Oscar eingeheimst, während „Die Kriminalpsychologin“ gerade mal auf einer Nominierung für die Goldene Kamera hoffen darf, damit das Projekt nicht ganz für die Katz war. Christoph Schultheis