Schläge aufs Freßbrettchen

Zwanzig Jahre nach den Sex Pistols entert Punk auch hierzulande die Literatur. Gleich zwei Erstlingswerke umkreisen die Zentralthemen Sex, Gewalt und Bullerei. Warum schlichte Gemüter dennoch nicht auf ihre Kosten kommen, erklärt  ■ Klaus Farin

Der Titel ist ein wenig irreführend, denn die alljährlich in Hannover begangenen Festivitäten spielen in dem Erstlingswerk des Moses A. nicht einmal Kulisse. Allerdings ist „Chaostage“ eine Pulp- Kolportage der ganz normalen Wochenendfreuden und -katastrophen der handelnden Kombattanten: Punks, vor allem der älteren Jahrgänge, prollig versypht oder politisch bewußt, aber stets zum antifaschistischen Kampf bereit: „Ein Schlag aufs Freßbrettchen hatte noch keiner dieser Kreaturen geschadet, und so betrieb er diese Form der etwas grobschlächtigen, aber nicht sehr zeitaufwendigen Psychotherapie mit wachsender Begeisterung ...“ In weiteren Rollen: ein homophober Nazi, Juanita, Spanierin und wg. Sex und Franco akzeptiertes Mitglied einer „ansonsten nachgewiesen reinrassigen“ Fascho-Skin-Clique – und natürlich die Polizei. Letztere kommt allerdings erst im letzten Drittel zum Zuge – gerade rechtzeitig, um einen größeren Anteil des Punker- Personals ins Jenseits zu befördern. Blut fließt viel zwischen Karlsruhe, Hannover und Berlin, bei Straßenkämpfen und Terroranschlägen ebenso wie in jene für die männliche Identität so unentbehrlichen Schwellkörper.

Sex und Gewalt – Richard Allen, ein drittklassiger Londoner Groschenromanautor, katapultierte sich damit schon vor 25 Jahren in die britischen Bestseller- Charts. Sein Romandebüt „Skinhead“, in zehn Tagen zusammengeschrieben, wird derzeit mit Robbie „Take That“ Williams verfilmt. 1991 legte Stewart Home, von Allens Erfolg inspiriert, mit „Defiant Pose“ (deutsch: „Stellungskrieg“, Edition Nautilus) seine eigene Version nach. Doch während Allen einen rassistischen Skin als (Anti-)Helden aufbaute und als Erzähler deutlich reaktionäre Standpunkte vertrat, schuf Home, der Organisator des International Festival of Plagiarism (!), mit seinem linksradikalen working class hero Terry Blake eine Kultfigur für Punk- & Skin-Subkulturträger.

„Chaostage“ wiederum ist im wesentlichen ein Plagiat des Plagiarismus von Stewart Home – allerdings ohne dessen politisch sezierende Qualitäten. Es handelt sich mehr um eine Up-Tempo- Folge drastischer Szenen mit viel Körpersaft in tragenden Rollen. Das bedeutet nicht, daß von Homes Pornopersiflage bei Moses A. nur noch Porno übriggeblieben ist, wie Übereifrige verkündeten. Michael Arndt, der mit ZAP seit bald zehn Jahren eines der Zentralorgane der westdeutschen Punk/Hardcore-Gemeinde herausgibt und sich seitdem gern „Moses“ nennen läßt, ist im richtigen Leben ein moralischer Mensch mit hohem PC-Bewußtseinspegel, und auch sein Text ist als Onanievorlage – selbst für schlichtere Gemüter – eher ungeeignet. Wenn Juanita ihren Blow job verrichtet, ist sie nicht williges Opfer, sondern dominante „Herrin der Triebe“: „Das Gefühl, in diesem Moment Macht über Männer zu besitzen, war einfach unvergleichlich...“

Stefan Kleiber entstammt denselben Szenezusammenhängen wie Moses A. – man kennt sich, auch wenn man nicht gerade befreundet ist. Stefan K. schreibt für das konkurrierende Trust- Fanzine, zupft den Baß in der durch Hausbesetzer-Solikonzerte auch über Karlsruhe hinaus bekannten Punk/HC- Band Simuinasiwo und legt nach einer interessanten Magisterarbeit über „Fanzines. Eine der letzten Alternativen“ (Dreieck-Verlag, Mainz 1997) nun auch sein literarisches Erstlingswerk vor. „Die Joe Starfuck Story“, weniger ein Roman als „Eine Geschichte“, wie der Autor das rund 100 Seiten umfassende Büchlein angemessen präsentiert, erzählt von den Erlebnissen eines zum Popstar aufgestiegenen Punkmusikers. Von der bösen Industriefirma „Sunny Music“ eingekauft, gerät Joe Starfuck in einen schwer authentischen Punkschuppen und erkennt – bei viel Bier aus Pappbechern und tiefsinnigem Erfahrungsaustausch, untermalt vom harten Sound wahrer Streetpunkbands wie Hitler's Bikini – die Wahrheit: All diese Blondinen, Autogrammstunden und ständigen 10.000-Mark-Schecks von Sunny Music sind eigentlich nicht sein Ding. Joe will zurück auf die Straße...

Originell ist auch diese Story, spätestens seit „Breaking Glass“, Brian Gibsons und Hazel O'Connors brillantem Abgesang auf die Punk/New-Wave-Szene von 1980, nicht mehr. Stefan Kleiber weiß das und wählte konsequenterweise den vielleicht einzigen Weg, in dem sich diese uralte, mythengetränkte Rockbusiness-Schmonzette aus Verrat & Authentizität noch erzählen läßt: voll rein ins Klischeenäpfchen, keine Chance auf Kitsch auslassen.

Während Moses A. sein Werk „in drei Wochen zusammengehämmert“ hat, läßt Kleiber durchaus weitergehende literarische Ambitionen erkennen, die umzusetzen ihm allerdings dieses Mal noch nicht gelang. Wie bei vielen Debütanten führte der ungebändigte Drang, möglichst viel „Message“ unterzubringen, zu bisweilen drögen Passagen und ungewollten Stilbrüchen. Trotzdem sind sowohl die „Chaostage“ als auch „Die Joe Starfuck Story“ Unterhaltung im besten Sinne und brauchen dafür nicht einmal Minderheitenschutz in Anspruch zu nehmen. Pulp ist längst Kult, und Dilettantismus ja auch irgendwie Punk.

Moses A.: „Chaostage“. ZAP- Verlag (Postfach 1007, 66441 Bexbach), 217 Seiten, 29,90 DM incl. Porto

Stefan Kleiber: „Die Joe Starfuck Story“. 108 Seiten plus beiliegender Musikkassette; 24 DM incl. Porto; Bezug nur über den Autor: Rosenstraße 8, 76356 Weingarten