■ Die Steuerreform: Dilemma der SPD
: Wo bleibt der Widerspruch?

Wieder einmal hat es die Kohl-Regierung geschafft, ein umstrittenes Thema als großen Wurf zu verkaufen. Das war einst mit dem Sparpaket so und wiederholt sich nun in Sachen Steuerreform. Mögen auch einzelne in der CDU ihre Kritik äußern und Widerspruch anmelden, so bleibt doch der Eindruck bestehen, hier sei wirklich ein Kraftakt vollbracht worden. Dahinter verblaßt notgedrungen die Rolle der Opposition. Sie wird, wie so oft, zum konzeptlosen Nörgler degradiert. Das muß nicht so sein, wenn man eine Vorstellung hat, wie es anders sein könnte. Doch genau daran mangelt es der Opposition, allen voran der SPD. Sie ist in der Defensive, weil sie mit zweierlei zu kämpfen hat: zum einen mit der Komplexität der Steuerreform, deren unerotische Ausstrahlung sich kaum als Wahlkampfschlager eignet, zum anderen aber steckt die SPD selbst voller Zweifel.

Jetzt rächt sich, was SPD-Fraktionschef Scharping noch vor einigen Tagen anmahnte: die Präsentation eines gemeinsamen rot-grünen Gegenkonzepts. Das hätte längst schon geschehen müssen. Aber statt dessen starrte die SPD auf das Türenschlagen der Waigel-Kommission, kritisierte mal hier, mal dort, drohte kräftig mit dem Bundesrat und versteckte ansonsten ihre Hilflosigkeit hinter populistischen Schlagworten wie „Täuschung“, „Betrug“ und „Ungerechtigkeit“.

Das alles bringt die Partei keinen Schritt weiter. Wieder einmal steht sie als Verweigerer da, obgleich sie die Reform nicht grundsätzlich ablehnt. Der personifizierte „Widerspruch“ ist Parteichef Oskar Lafontaine, der gestern Teile der Reform kritisierte, zur Rente ganz schwieg, aber ansonsten die Umsetzung schon für 1998 forderte. Angesichts dieses Verwirrspiels fragt man sich: Steckt dahinter tatsächlich taktisches Kalkül, oder ist es der hilflose Versuch, das Thema doch noch in den Griff zu bekommen. Soll etwa 1998 der Regierung im Wahljahr die Steuerreform aufgezwungen werden, um sie der Bauernfängerei zu überführen?

Das wäre allerdings eine Vorlage, die Kohl nicht dienlicher sein könnte. Im Gegensatz zur SPD kann Kohl zumindest darauf verweisen, in der Krise überhaupt etwas gewagt zu haben. Das allein, so hat man den Eindruck, zählt heute schon in weiten Teilen der Bevölkerung. Das ist die Klaviatur, auf der Union und FDP spielen werden. Die Opposition aber tappt flugs wieder in ihre eigene Falle: Indem Lafontaine Teile der Reform über den Bundesrat kippen will – insbesondere die Besteuerung der Nacht- und Sonntagszuschläge –, betreibt er genau jene Klientelpolitik, die den Sozialdemokraten so oft zum Verhängnis geworden ist. Severin Weiland