Schwarzer Peter bleibt bei Vater Graf

Mildes Urteil im Prozeß gegen Peter Graf. Finanzbehörden tragen nach Meinung des Gerichts Mitverantwortung für den Steuerschwindel. Der Angeklagte muß nun noch 13 Monate in Haft  ■ Aus Mannheim Phillip Maußhardt

Sie war nicht angeklagt und wurde dennoch freigesprochen. Bevor Richter Joachim Plass gestern im Steuerverfahren gegen Peter Graf das Urteil begründete, lag ihm die Ehrenrettung der Tennis spielenden Tochter am Herzen. Steffi habe mit der Sache nichts zu tun, ein Ermittlungsverfahren gegen sie solle sofort eingestellt werden.

Die Rollenverteilung stimmte also wieder am Ende des spektakulären Verfahrens um chronischen Steuerschwindel: Stefanie Graf bleibt die Engelstochter, ihr Vater muß sich damit abfinden, als Rabenvater zu gelten.

Weil er sechsmal das Finanzamt hintergangen hat und dabei zwölf Millionen Mark der Steuerkasse entgingen, wurde Peter Graf gestern nun zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Nach Abzug seiner Untersuchungshaft und dem üblicherweise erlassenen letzten Drittel der Haftzeit bleiben noch 13 Monate, die Peter Graf wieder ins Gefängnis muß. Grafs Handlanger, der Steuergehilfe Joachim Eckardt, wurde zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Im Licht der Neonröhren sah Peter Graf während der 37 Verhandlungstage immer schon etwas blaß aus. Deshalb ließ sich gestern auch an seiner Gesichtsfarbe kaum erkennen, was er dabei fühlte, als er das Urteil vernahm: Stirn und Wangen blieben fahl. 24 Fernsehkameras und ebenso viele Fotoapparate suchten in seinem Gesicht nach einer menschlichen Regung und fanden nichts.

Der erste Zuschauer, der gestern um einen der 128 Sitzplätze kämpfte, war Horst Staiger. Er war schon kurz vor sechs Uhr vor dem Landgericht in Mannheim erschienen und hatte sich Kaffee mitgebracht. „Vier Jahre kriegt er“, sagte Horst kurz vor sieben Uhr und lag damit nicht schlecht. Er beobachtet die Gerichtsszene in Mannheim seit zehn Jahren, weil er als Frührentner nichts besseres zu tun hat. Mit ihm war erschienen der Bürgermeister aus dem badischen Brühl, der die Verurteilung seines prominentesten Mitbürgers offenbar live erleben wollte.

Doch der Andrang vor Saal 1 war längst nicht mehr so groß wie zum Prozeßauftakt am 5. September vergangenen Jahres. Damals sicherte ein Dutzend Polizisten den Zugang zum Gebäude. Doch mit jedem der 37 Verhandlungstage nahm das öffentliche Interesse ab. Wer wollte auch schon von 38 Zeugen – darunter viele Finanzbeamte – steuerrechtliche Erwägungen hören und Vorhaltungen aus 170 Aktenordnern über sich ergehen lassen?

Dabei waren Aussagen wie die des angesehenen Steueranwalts und ehemaligen Graf-Beraters Hans Flick durchaus unterhaltsam. Als er schilderte, wie Peter Graf sich während eines Beratungsgesprächs morgens um elf Uhr einen Schnaps hinter die Binde goß, wurde mehr deutlich als in einem langatmigen Gutachten eines Rechtspsychiaters, der die schwere Kindheit des Angeklagten beleuchtete.

Doch trotz Scharlach und Asbach: Das Gericht hielt Peter Graf für voll schuldfähig. „Graf war immer verantwortlich für das, was mit den Einnahmen aus Preisgeldern und Sponsorenzahlungen geschah“, sagte Richter Plass in seiner Urteilsbegründung. Und: Seinen mitangeklagten früheren Berater habe er nur ausgesucht, „weil der keine dummen Fragen stellte“. Gescheite allerdings auch nicht, und so kam, was der Richter die „Quadratur des Kreises“ nannte. Er meinte damit, daß der ehemalige Gebrauchtwagenhändler Peter Graf mit professionellem Rat besser beraten gewesen wäre.

Hätte allerdings das zuständige Finanzamt in Schwetzingen den anfänglichen Verdacht schon 1988 laut kundgetan – nämlich daß der Umweg hoher Einnahmen über die karibischen Antillen vom deutschen Steuerrecht nicht gedeckt wird –, Peter Graf hätte vielleicht noch eingehalten. Deshalb treffe die Finanzbehörde zumindest eine Mitverantwortung, so Richter Plass. Aus diesem Grunde auch seien die Grafschen Taten zwar aus „grobem Eigennutz“ heraus erfolgt, aber nicht in einem „besonders schweren Fall“. Die Staatsanwaltschaft kündigte vorsorglich bereits an, in die Revision gehen zu wollen, sobald das Urteil schriftlich vorliegt.

Richter Plass ließ es sich, so viel am Rande, nicht nehmen, auf die besonderen Begleitumstände des Verfahrens einzugehen. In einer Vorbemerkung zur Urteilsbegründung sagte er, es sei „unerträglich“, daß während des Prozesses das psychiatrische Gutachten über Peter Graf in einer Boulevardzeitung veröffentlicht worden war. Er hoffe, so Plass, daß dies nicht ohne Sanktionen bleibe. Wer dem Blatt das Material zugespielt hat, konnte bislang nicht geklärt werden.

Am frühen Nachmittag packten die Kamerateams ihre Gerätschaften wieder in die Koffer und reisten ab. Sie bemerkten nicht, daß nur wenige Räume weiter im Landgericht ein anderes Steuerverfahren verhandelt wurde. Ein Spediteur aus Singen soll das Finanzamt um 18 Millionen Mark betrogen haben. Der Fall interessiert kein Schwein.