Macht die Uni dumm?

■ Psychologin vergleicht Arbeit von Laien und Profis im psychosozialen Bereich

Studieren macht dumm. Entscheidende berufliche Qualifikationen gehen während des Studiums verloren, so daß man feststellen muß: Der engagierte Laie ist oft kompetenter als der teuer ausgebildete Profi. So etwa könnte man die Thesen zuspitzen, die Hildegard Müller-Kohlenberg, Psychologin und Professorin für Erziehungs- und Kulturwissenschaften in Münster, jetzt in Bremen veröffentlicht hat. Etwa 50 Interessierte, sowohl professionelle als auch Laien-Helfer, waren der Einladung der Freiwilligen-Agentur Bremen gefolgt. Die Entdeckung des Freiwilligen (Ehrenamtlichen) hat (etwa im Gegensatz zu den angelsächsischen Ländern) in Deutschland eigentlich gerade erst begonnen; da freuen sich natürlich die Freiwilligen-Agenten, wenn sie einen Vortrag zum Thema „Die Kompetenz der Laien – Ehrenamtliche sind oft ausgezeichnete Helferinnen und Helfer“ organisieren können.

Frau Müller-Kohlenberg hat sich einmal die Mühe gemacht, alle greifbaren Untersuchungen zur Frage der Effektivität der Laien im Psychosozialbereich abzuklopfen. Sie wertete über 200 Arbeiten (zwischen 1968 und 1987) aus und kam zu dem einigermaßen überraschenden Ergebnis, daß in der direkten Arbeit mit dem Klienten der Laie mindestens gleich gut war, oft sogar besser. Begünstigend für das Ergebnis war ein ähnliches Alter wie der Klient; wenn der Laie länger in dem Bereich arbeitet, seine Erfahrung also zunimmt, steigert das nicht unbedingt seine Effektivität.

Offenbar braucht es für eine erfolgreiche Einzelfallhilfe (klassischerweise zum Beispiel die Betreuung von psychisch Behinderten oder von Straffälligen) weniger die kognitiven Fertigkeiten, die eine Uni vermittelt. Die Fähigkeit, eine persönliche Beziehung zum Klienten aufzubauen, geht im Studium eher verloren. Distanz zum Klienten wird als grundlegende Bedingung für eine erfolgreiche Arbeit gelehrt. Und ohnehin steht der „Helfer“ unter dem Pauschalverdacht, er verfolge heimlich eigene, egoistische Motive oder handele sogar vor einem pathologischen Hintergrund. In der Sozialpädagogik interessiert man sich sehr für dieses sogenannte „Helfersyndrom“. Die Pädagogen lernen das Unterstützen und Führen, die Psychologen das Behandeln und Heilen: aber helfen? Nicht doch! Das riecht nach Altruismus, und den gibt es nicht. Wer ohne Bezahlung im Psychosozialbereich arbeitet, macht sich verdächtig. Unverdächtig ist, wessen Motive mit Karriere, Geld, Prestige oder Macht zu umschreiben sind. Dabei scheinen die Anfangsmotive der Freiwilligen meist recht harmloser Natur zu sein: Sie wollen etwas Interessantes machen und suchen geselligen Umgang.

Hier treffen sie auf die Erwartungslage der Klienten. Mehrere Untersuchungen, die wissen wollten, was Betroffene für besonders hilfreich halten, bestätigten: Nicht Medikamente, auch nicht das (selten stattfindende) Arztgespräch, sondern die Zuwendung von Pflegern oder Mitpatienten waren etwa bei Psychiatriepatienten Spitzenreiter. Eigene Untersuchungen in Münster beschrieben die Erwartungen von Jugendlichen, die der Jugendgerichtshilfe bedurften, mit diesen Begriffen: „Gegenseitigkeit“, Nähe zum Alltag, lockere Atmosphäre, persönliche Offenheit. Diesen Wünschen kann der Profi in aller Regel gar nicht nachkommen. Als Resultat fordert Frau Müller-Kohlenberg nicht weniger als eine neue Theorie der sozialen Hilfe. Darin wird die Rolle der Professionellen neu zu beschreiben sein, sie werden kaum noch mit Einzelfallhilfe zu tun haben, eher als „soziale Manager“ auftreten. Sie werden sich mit Stadtteilanalysen, Sozialplanungen und Supervisionen befassen. Und sich nicht zuletzt um die Gewinnung und Betreuung von Ehrenamtlichen kümmern. BuS

Hildegard Müller-Kohlenberg, Laienkompetenz im psychosozialen Bereich. Opladen: Leske und Budrich, 1996