■ Algerien: Braucht Präsident Liamine Zéroual den Terror?
: Die Siegeskrise

Plötzlich handelt es sich bei den Islamischen Bewaffneten Gruppe (GIA) nicht mehr um „versprengte, übriggebliebene“ Häufchen, wie Algeriens Machthaber in den letzten Monaten zu wiederholen nicht müde wurden, sondern um einen „Komplott aus internationalen Mächten und algerischen Persönlichkeiten“. Diese Einsicht verdanken wir dem Präsidenten und General Liamine Zéroual. Das Strickmuster dahinter ist bekannt. Schon im Ostblock mußte immer eine Verschwörung herhalten, wenn eigene, hausgemachte Widersprüche nicht mehr in den Griff zu bekommen waren. So könnte diese Definition als stalinistische Phantasie eines Generals abgetan werden. Doch Zérouals Politik der „Ausrottung des Terrorismus“ hat mächtige, internationale Freunde, die auch dann weiter auf ihn setzten, wenn die Zivilbevölkerung und die Menschenrechte bei diesem Kampf längst zwischen die Fronten geraten sind.

Warum es trotz riesigem Militäraufgebot dennoch nicht gelingt, dem Terror zumindest in der Hauptstadt Algier Einhalt zu gebieten, ist eine der häufigsten Fragen, die sich die Opposition in den letzten beiden Wochen – den blutigsten seit Ende des Befreiungskrieges gegen Frankreich – immer wieder stellt. Über die Antwort kann nur spekuliert werden. Doch was, wenn General Zéroual überhaupt kein Interesse am Ende der Gewalt hat? Denn schließlich ist es die Terrorismusbekämpfung, die Logik der Gewalt, die ihn an der Macht hält. Der Präsident verspricht Schutz, große Teile der verängstigten Bevölkerung unterstützten ihn einzig und allein aus diesem Grund – egal ob bei den Präsidentschaftswahlen oder beim Referendum für eine alles andere als demokratische Verfassung. Und im Mai stehen erneut Wahlen an.

Doch etwas scheint sich geändert zu haben. Dieses Mal werden die Stimmen derer, die Zérouals Untätigkeit verurteilen, immer lauter. Erste zaghafte Demonstrationen, nicht nur gegen den Terrorismus, sondern gleichzeitig für Demokratie und Freiheit, zeugen davon. Der internationalen Gemeinschaft stände es gut zu Gesicht die dialogbereite Opposition um den Friedensappell zu unterstützen, anstatt untätig zuzusehen, wie sich der Konflikt immer mehr verhärtet. Präsident Zéroual muß zu einem Kurswechsel gezwungen werden, bevor er mit seiner Verschwörungstheorie das Land endgültig kaputtsiegt. Reiner Wandler