■ Viele Grüne wollen gern Regierung und Opposition in einem sein. Doch so hat Rot-Grün 1998 keine Chance
: Der Selbstbetrug der Wohlmeinenden

Der linke Rand der nordrhein- westfälischen Grünen hat kürzlich eine Diskussion um Sinn und Unsinn der rot-grünen Regierung in NRW losgetreten. Diese Debatte kommt gerade recht. Wer in Bonn eine Mehrheit jenseits von Kohl und der PDS will, tut gut daran, nach Düsseldorf zu schauen. Gerade im Vorfeld der Bundestagswahl kommt diesem Streit fundamentale Bedeutung zu.

Im Kern geht es in der Debatte um den Wandel der Grünen von einer oppositionellen Sammlungsbewegung hin zur politischen Gestaltungskraft. Gewiß, an die frühreren, spektakulären, von vielerlei Abspaltungen – Bahro, Trampert, Ditfurth – begleiteten Selbstverständigungsdebatten, reicht der Düsseldorfer Krach noch nicht heran. Doch mit Blick auf Bonn ist dieser Streit nicht weniger brisant.

Heute sind die Fronten weniger klar. Während die Fundis von einst zu Recht vor der Unvereinbarkeit von oppositioneller Prinzipientreue und grüner Regierungsbeteiligung warnten – und schließlich mit ihrem Parteiaustritt auf die eingeleitete Wende reagierten –, kommt die Düsseldorfer Kritik von Linken, die beides gleichzeitig sein wollen: authentische Opposition und Regierungspartei in einem. An diesem Zwiespalt, der sich wie ein roter Faden durch das von vier Landtagsabgeordneten vorgelegte Bilanzpapier zieht, leidet die ganze Partei. Deshalb ist dieser Streit so bedeutsam.

Dabei hilft der berechtigte Hinweis von Realos und gemäßigten Linken, die vorgelegte Bestandsaufnahme sei höchst einseitig und in Teilen schlicht falsch, nicht viel weiter. Tatsächlich, das zeigt die letzte Sitzung des Landesparteirates, ist die Bilanz in weiten Teilen der Partei als eine Art „Befreiungsschlag“ aufgenommen worden. Warum? Die Antwort darauf ist ganz einfach: Weil die AutorInnen für alle „grünen Niederlagen“ einen Schuldigen anzubieten haben: Das Gute scheitert immer an der bösen SPD, wobei die Kompromißler in den eigenen Reihen zusätzlich als Mitschuldige geoutet werden. Nicht finanzielle, juristische oder gesellschaftliche Restriktionen schränken reformpolitisch ambitioniertes Regierungshandeln in erster Linie ein, sondern eine unwillige SPD, die leicht anders könnte, so sie denn wollte. Das ist eine Botschaft so ganz nach dem Geschmack grüner oppositioneller Seelen. Wer innerhalb der Partei dagegen das Wort ergreift, gilt schnell als Verräter und wird seit jeher auf grünen Parteitagen in NRW entsprechend abgestraft – Mindeststrafe nicht unter Mandatsverlust.

In einem solchen Klima sind die eigenen programmatischen Lebenslügen nur schwer zu korrigieren, zumal es sich auf den Oppositionsbänken mit falschen Versprechungen ganz gut leben läßt. Das gilt selbstredend nicht nur für die Grünen. Je mehr programmatische Leichen eine Partei mit sich herumschleppt – und bei den Grünen wiegt diese Last auf Bundes- wie Landesebene ziemlich schwer –, um so schwieriger wird das Regierungsgeschäft. Gemessen an dem eigenen Programm mangelt es deshalb in NRW auch nicht an „grünen Niederlagen“.

Eine weitere „Niederlage“ zeichnet sich gerade in diesen Tagen ab. Dabei geht es um den Düsseldorfer Flughafen. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) will den durch die Brandkatastrophe vom letzten Jahr erzwungenen Neubau zum Kapazitätsausbau nutzen. Vor allem die seit Jahren umstrittene, zur Abwicklung von Interkontinentalflügen notwendige Verlängerung der Start- und Landebahn um 400 Meter sei nun fällig. Clement, so lautet nun der Vorwurf seitens vieler Grüner, wolle Nordrhein-Westfalen in einen einzigen „Flugzeugträger“ umbauen.

Redlich ist diese Argumentation nicht. So einfach läßt sich das „Gute“ vom „Bösen“ eben nicht trennen. Tatsächlich befördert die grüne Position nicht nur unter beschäftigungspolitischen Aspekten höchst zweifelhafte Ergebnisse. Klimapolitisch grenzt die Verbannung der Interkontinentalflüge vom Düsseldorfer Flughafen schon fast an Idiotie. Wer von Düsseldorf etwa nach Johannesburg oder Tokio fliegen will – und der Bedarf ist wegen der großen japanischen Gemeinde in der Stadt riesig – hat keine Chance, sein Ziel direkt zu erreichen. Voll betankt kommen die großen Maschinen dort nicht hoch. Von Düsseldorf geht es deshalb nach München oder Frankfurt zum Tankzwischenstopp. Die Folge: Mehr Emissionen, höhere Kosten und genervte Fluggäste, die sich inzwischen in zunehmender Zahl von Düsseldorf abwenden und lieber mit dem Auto nach Amsterdam fahren, um von dort nonstop zu fliegen. Umweltpolitisch wirkt die Begrenzung der Piste – sieht man vom Lärmschutz für die Flughafenanwohner, der auf vielerlei Weise verbessert werden könnte, einmal ab – deshalb höchst kontraproduktiv. Nur gemessen am eigenen Programm käme ein Ausbau einer grünen „Niederlage“ gleich. Klimapolitisch wäre er dagegen von Vorteil.

Viele Grüne in NRW sträuben sich, den durch den Regierungseintritt unvermeidlich gewordenen Rollenwechsel ihrer Partei nachzuvollziehen. Sie sehnen sich nach dem oppositionellen Sprachrohr. Doch als Erfüllungsgehilfe örtlicher Initiativen taugt keine Regierungspartei. Auch der eingeklagte „Kurswechsel“ könnte daran nichts ändern, es sei denn, dahinter verberge sich das Konzept reiner Opposition. Nur sollte man das dann auch so nennen. Auf der Regierungsbank stehen ehemaligen Oppositionsparteien und ihren Anhängern desillusionierende Lernprozesse im Eiltempo bevor. Das gilt für Düsseldorf wie für Bonn. Gemeinsam aus der Opposition kommend fällt mancher Eingungsprozeß in Bonn gewiß leichter, aber viele Träume der potentiellen rot-grünen Regierungspartner werden auch dort wie Seifenblasen zerplatzen.

Eine Wiederholung der zänkischen rot-grünen „Beziehungskiste“ nach Düsseldorfer Muster werde es wegen des besseren Klimas untereinander in Bonn „nicht geben“, prognostizierte dieser Tage der Bonner SPD-Fraktionsmanager Wolf-Michael Catenhusen. Doch ohne substantielle Klärung zwischen SPD und Grünen wird sich diese Prognose gewiß nicht erfüllen. Denn viele wichtige politische Konflikte – Atomenergie, Asyl, Einwanderung, Autobahnbau – brechen derzeit nur wegen der Bonner Zuständigkeit auf landespolitischer Ebene nicht auf. Entfällt dieser Ausweg, weil auch in Bonn die eigenen Leute dran sind, geht der rot-grüne Tanz erst richtig los. Dagegen hilft nur ein vorbeugender, scharfer Klärungsprozeß. Je früher, desto besser. Walter Jakobs